Putins ukrainische Geisel

Das skandalöse Urteil gegen den oppositionellen Filmemacher Oleg Senzow darf nicht in Vergessenheit geraten. Ihm drohen 20 Jahre Lagerhaft nach einem unglaublich konstruierten Prozess. Kolumne vom 9.9.2015.

Oleg Senzow drohen im schlimmsten Fall 20 Jahre Lagerhaft. Die Proteste gegen den mit unglaublicher Absurdität konstruierten Prozess und gegen das abschließende Urteil konnten nichts bewirken. Mehr als tausend internationale Kollegen aus der Filmbranche, darunter weltbekannte Regisseure und Autoren, haben dem ukrainischen Filmemacher ihre Solidarität erwiesen. Doch der „politisch motivierte Schauprozess“ ,wie Senzows Anwalt Dmitri Dinse das Spektakel nannte, wurde durchgezogen.

Ein Hauptbelastungszeuge hatte seine unter Folter erpressten Aussagen zurückgezogen, ein zweiter weigerte sich auszusagen. Doch das Militärgericht in Rostow ließ sich nicht beirren. Weder von Senzows Vorwurf, er sei in der Untersuchungshaft misshandelt und mit dem Tode bedroht worden, noch von der Forderung, ihn unter konsularischen Schutz zu stellen, da er nie um die russische Staatsbürgerschaft gebeten hatte. Sie war ihm per Annexion der Krim „geschenkt“ worden.

Senzow und der mit zehn Jahren Haft vergleichsweise milde mitverurteilte Alexander Koltschenko sollen der Welt als gefährliche Terroristen vorgeführt werden, die als „Faschisten“ im Auftrag des „Rechten Sektors“ Russland bedroht haben. „Das konstruierte Bild des Feindes erfordert entsprechende Handlungen, die den Kampfgeist der Mitbürger stärken und einen moralischen Druck auf den Gegner ausüben sollen“, schrieb kürzlich der ukrainische Autor Serhij Zhadan.

Er, der als Maidan-Aktivist in Kiew und Charkiw aktiv war, sprach im März vorigen Jahres in der Akademie der Künste als konsequenter Kämpfer für demokratische Reformen und die Stärkung der Zivilgesellschaft. Doch in seine Hoffnungen auf einen von jungen Bürgern geführten demokratischen Prozess gegen die Oligarchen und Polizeichefs mischten sich damals schon Zweifel, ob der Umsturz zum Erfolg führt. Seine Befürchtung, dass die Separatisten im Osten mit russischer Militärhilfe eine akute Kriegsgefahr heraufbeschwören würden, bestätigte sich bald. Ebenso seine Warnung, die Gegner der Maidan-Revolution – vor allem in Russland – würden alles tun, um diese als Werk des „Rechten Sektors“ zu diffamieren.

Oleg Senzow muss nun für seine konsequente Haltung gegen die Annexion seiner Heimat, der Krim, einen hohen Preis bezahlen. Er wurde von russischen Geheimdienstlern als Geisel genommen und nach Moskau verschleppt. Doch es gelang nicht, ihn in einjähriger Untersuchungshaft zu zermürben und ein Geständnis zu erpressen. Mit einem fast wahnsinnigen Mut hörte man ihn von der vergitterten Anklagebank sagen, die „Herrschaft des verdammten Zwerges“ werde vor Ablauf seiner zwanzigjährigen Haft enden. Deshalb fürchte er sich nicht. Und am Ende zitierte er Michail Bulgakow: „Die größte Sünde der Welt ist die Feigheit.“ Er wünsche auch den Russen, dass sie ihre Angst verlieren.

Damit hat er sich alles andere als Hafterleichterung verschafft und wir werden um sein Leben fürchten müssen. Deshalb ist es nötig, Oleg Senzow nicht aus den Augen zu verlieren, wenn die Beziehungen zu Russland eines Tages hoffentlich wieder normaler und besser werden. Jeder, der in dieses Land reist, sollte bei allen Bemühungen um Wirtschafts- und Kulturbeziehungen eine Frage nie vergessen: „Und wann kommt Oleg Senzow endlich frei?“

Die Kolumne erschien zeitgleich in der Berliner Zeitung und in der Frankfurter Rundschau.

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