Schlittenhunde auf dem Wasser

Kann man die Klimakrise noch bewältigen? Kolumne vom 27. Juni 2019

Fast zeitgleich kamen vor wenigen Tagen zwei Dinge zusammen: die Prognose zur gerade stattfindenden rekordverdächtigen Hitzewelle und die Nachricht vom Unvermögen der EU-Repräsentanten, einstimmig ein klimaneutrales Europa bis 2050 zu beschließen. Kurz davor sah man in den Medien das einprägsame Bild der Schlittenhunde in Grönland, die durchs Schmelzwasser liefen statt übers Eis. Dazu die Nachrichten vom dramatischen Verschwinden des Permafrostbodens nördlich des Polarkreises. In Kanada ist der Boden bereits so weit abgetaut, wie es Experten für 2090 erwartet hatten. Die damit frei werdenden Mengen an Kohlendioxid und Methan werden den globalen Erwärmungstrend weiter beschleunigen.
Wer noch an das Erreichen der Ziele des Pariser Klimaabkommens glaubt, dass die globale Erwärmung bei 1,5 Grad gestoppt werden kann, muss sich wie in Don Quixotes Kampf gegen die Windmühlenflügel vorkommen.
Laut einer amerikanischen Universitätsstudie sind mehr 90% repräsentativ befragter Klimaforscher in den USA von der Realität des Klimawandels überzeugt. Die Häfte von ihnen führt ihn haupsächlich auf menschliche Einwirkungen zürück, weitere 30% auf die Kombination von Folgen der Industrialisierung und natürlichen Ursachen. Ein Drittel der amerikanischen Farmer jedoch hält es mit dem Präsidenten, der nicht daran glaubt, dass es überhaupt Belege für einen Klimawandel gibt. Die Verfasser der Studie raten den Klimaforschern, zu erkennen, dass ihr Weltbild sich von dem der Landwirte grundsätzlich unterscheiden könne, weil der Farmer sich nun mal auf das Wetter und die Erntesaison konzentriere, statt an die nächsten 30 Jahre zu denken.
Gibt es überhaupt noch eine Aussicht, die Klimakrise zu bewältigen? Woher soll der Impuls für eine Umkehr kommen, wenn die selbst angelegten ökologischen Scheuklappen jeden Weitblick verstellen, wenn das „weiter so um jeden Preis“ zum Lebensprinzip politisch Verantwortlicher aber auch jedes Autobahnrasers gehören? Deutschlands fast weltweites Alleinstellungsmerkmal, ohne Tempolimit „freie Fahrt für freie Bürger“ zu gewähren, seit der ADAC-Spruch in den 70ger Jahren erfunden wurde, ist ein Musterbeispiel gewissenloser Ignoranz. Von einem Verkehrsminister, der auf E-Tretrollerniveau in die Zukunft denkt, kann man jedoch nichts anderes erwarten als das Verdikt, ein Tempolimit „verstoße gegen jeden Menschenverstand“.
Ich gebe zu, angesichts der globalen Herausforderung kämen wir mit überfälligen, ökologisch vernünftigen Verkehrslösungen nicht mal auf „Peanuts“-Niveau. Aber wie soll der große Wurf aussehen? Darüber hat Joseph E. Stiglitz, der 2001 den Nobelpreis für Volkswirtschaft erhielt, dem „Guardian“ Anfang des Monats einen Aufsatz geliefert. Er beschreibt die Situation mit einer Analogie zur Mobilisierung der USA zum Kampf im Zweiten Weltkrieg. Die Klimakrise habe ein so existenzbedrohendes Ausmaß erreicht, dass die Frage überflüssig sei, ob man sich den Kampf überhaupt leisten könne. Durch klimabedingte Katastrophen habe das Land bereits 2% seines Bruttosozialprodukts verloren, dazu Milliarden Dollar durch gesundheitliche Schäden. „Wir werden für den Klimawandel zu bezahlen haben, daher ist es sinnvoll, jetzt Geld auszugeben, um die Emissionen zu reduzieren, anstatt später viel mehr für die Folgen zu bezahlen.“ Stiglitz verspricht der amerikanischen Wirtschaft einen „New Green Deal“ mit höchsten Wachstumsraten – aber es wird Trump nicht scheren.
Die Kolumne erschien am 27. Juni 2019 in der Berliner Zeitung und in der Frankfurter Rundschau.

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