Freie Fahrt für rasende Bürger

Was die Gegner von Tempolimits zu sagen haben, ist beinahe genauso gemeingefährlich wie die illegalen Rennen in unseren Städten.
Kolumne vom 16.11.2017

In Berlin vergeht kaum ein Tag ohne Autorennen zwischen jungen Männern mit übermotorisierten und in keinem Verhältnis zu ihrem Einkommen stehenden teuren Protz-Autos. Eine gute Nachricht: die Polizei schreibt inzwischen nicht mehr nur Knöllchen aus sondern geht zur Beschlagnahme der Fahrzeuge nach verbotenen Wettkämpfen über. Unschuldige Fußgänger die ohne Lebensgefahr über die Straße kommen wollen und andere Verkehrsteilnehmer, die immer noch bei Rot an der Kreuzung halten, sollten dafür dankbar sein. Mal sehen, ob es Anwälten gelingt, die Automobile vor der Versteigerung zu retten. Ich wäre für eine Schnellverschrottung – denn wer möchte schon gern von einem ungebremsten 600-PS-Boliden überrollt werden?

Auf deutschen Autobahnen tobt derweil seit Jahrzehnten ein anderer Kampf an der gleichen Front der Verweigerer einer Geschwindigkeitsbegrenzung, wie sie in allen anderen Ländern Europas längst üblich ist. Seit der Spruch „Freie Fahrt für freie Bürger!“ kreiert wurde, haben sich die Kampfverbände der Autolobby das weiße Schild mit den schwarzen Strichen als Markenzeichen angeeignet. Allen voran macht sich der eingetragene Verein „Mobil in Deutschland“ dafür stark, die Autobahnen vor einem 130 km/h-Limit freizuhalten. Auf seinen Facebookseiten toben sich die Raser jetzt noch verbal aus. Es gibt eine Unterschriftenaktion mit mehr als 40.000 Teilnehmern. Wenn der Hunderttausendste unterschrieben hat, will man mit der Liste ins Kanzleramt ziehen. An der Seite des Vereins steht Martin Lindner, der zum 25. Geburtstag der ADAC-Konkurrenz eine freundliche Videobotschaft sandte. Der Mobil-Präsident Haberland bedankte sich umgehend mit der Einladung zu einer Spritztour mit FDP-Wahlkampf-Interview in seinem VW-Käfer. Lindner durfte seinen Satz aus der Grußbotschaft wiederholen, dass er eigentlich Benzin im Blut habe (wenigstens kein Diesel!), und dass er die Höhe der Geschwindigkeit eher in die Hände der Autofahrer legen will als in die jener, die immer alles reglementieren wollten. Denn das Auto biete doch vor allem das Gefühl von Freiheit. Und der Noch-Verkehrsminister Dobrindt darf auch nicht in den Vereinsmitteilungen fehlen. Die Frage „Was halten Sie vom Tempolimit 130?“ beantwortet er mit einem klaren „Nichts!“. Auf den Facebookseiten werden die Fans des Vereins noch deutlicher: „Keine Haft für Alltagsraser!“, „Autos unter 100 PS haben auf deutschen Autobahnen nichts zu suchen,“ und der möglichen Jamaika-Koalition wird auf den Weg gegeben: dass “dieser grüne Abschaum aus der Politik muss … Das wird einer der Gründe sein, warum der Reichstag wieder brennen wird,“ schreibt Sven Zuban ganz un-anonym.

Dabei sollten die Deutsch-Mobilen nicht zu hart mit den Grünen ins Gericht gehen. Im Streit um ein Tempolimit auf der Autobahn 81 in Baden Württemberg haben sie sich immerhin mit der CDU auf einen Kompromiss einigen können. Die berüchtigten Schweizer Autoraser bekommen nur noch ein kleines Stück für ihren freien Auslauf. Eine 150.000 Euro teure Informationskampagne mit Radiospots, Bannern und Zeitungsanzeigen soll sie künftig ausbremsen.
Vorige Woche hat „Mobil in Deutschland“ wieder zum jährlichen Rundumschlag ausgeholt. Es erschien der aktuelle Blitzeratlas, mit dem nachgewiesen werden soll, dass eigentlich nur geblitzt würde, um die Stadtsäckel zu füllen, die Autofahrer zu knechten und ihnen die Freiheit der schnellstmöglichen Fortbewegung zu nehmen. Ein eindeutiger Zusammenhang von Blitzern und Verblendung.

Die Kolumne erschien zeitgleich in der Berliner Zeitung und in der Frankfurter Rundschau

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