Kolumne vom 26.11.2010
Langsam gewöhnen wir uns daran, dass das spekulative Zugrunderichten einer Bank oder eines ganzen Finanzsystems auch noch mit fürstlichen Boni belohnt wird. So verzögert sich gerade der Abgang des Dr. No genannten Chefs der HSH Nordbank so lange, bis der Begriff „goldener Handschlag“ zur schamlosen Untertreibung gerät. Die HSH ist jene Bank, die das Vermögen zweier Bundesländer ernsthaft gefährdet hat.
Doch bei aller Aufregung kehrt man immer wieder zum Alltag zurück, geht zum Briefkasten und findet einen drohenden Mahnbrief der Proinkasso GmbH aus Neu-Isenburg. Der Adressat wird aufgefordert 253,21 Euro auf ein Konto bei der Berliner Bank einzuzahlen. In einem Telefongespräch mit der „Euro Win Group“ habe er angeblich die Teilnahme an einem Gewinnspiel zugesagt. Falls die Erinnerung aussetzen sollte, kann man sich dieses Telefonat auch im Internet noch einmal aufrufen. Datenschutz gefällig? Wer zeichnet Telefonate auf und reicht sie an Inkassojäger weiter? Das ist nicht die einzige Frage, die offen bleiben soll. Die Euro Win Group gehörte im Sommer dieses Jahres zu einem Konglomerat von Gewinnspielfirmen unter dem Dach einer DTM Service GmbH, deren Konten eingezogen wurden. In der Umgangssprache würde man von Gewinnspielmafia reden, die Berliner Staatsanwaltschaft nennt es höflicher ein Unternehmen, gegen welches wegen „gemeinschaftlichen gewerbs- und bandenmäßigen Betruges“ ermittelt wird.
Fragt man nun bei der Berliner Bank, ob denn bekannt sei, dass sie Konten führe, die von den Neu-Isenburger Geldeintreibern für ein undurchsichtiges Unternehmen angelegt wurden, bleibt man ohne Antwort – der Schutz der Kunden steht im Mittelpunkt. Auch auf die Bitte, die Geschäftsführung und den Justiziar zu informieren, um doch Schaden von der Bank abzuwenden, steht eine Antwort aus. Ein Blick ins Internet. Dort bietet www.proinkasso.de in sechs osteuropäischen Sprachen plus Türkisch seine Dienste an und wirbt mit dem kühnen Spruch „Bekannt durch Rundfunk und TV“. Das trifft zu, denn nicht nur der SWR hat einschlägig recherchiert, mit welchen zweifelhaften Methoden die bereits aus dem Inkasso-Berufsverband ausgeschlossene Firma arbeitet. Da werden schon mal Rentner hoch in den Achtzigern, die noch nie in ihrem Leben „online“ waren, zu Tode erschreckt, des illegalen Downloads gewaltiger Gigabyte-Mengen verdächtigt und zur sofortigen Zahlung aufgefordert.
Im vorigen Jahr residierte Proinkasso noch bestens subventioniert im Hanauer „Technologie- und Existenzgründerzentrum“, bis der Stadtrat ihnen fristlos kündigte. Jetzt überziehen sie vom Neu-Isenburger Standort unter den Augen von örtlicher Polizei und Offenbacher Staatsanwaltschaft, denen Hunderte Anzeigen aus ganz Deutschland vorliegen, das Land mit zigtausend Serien-Mahnbriefen. Wenn nur 10 Prozent aus Angst vor Gerichtsverfahren, Renten- und Besitzpfändungen die Summe an die Berliner Bank (übrigens eine Tochter der Deutschen Bank) überweisen, dann haben alle an dem Mafia-Geflecht Beteiligten ein schönes Geschäft gemacht. Sicher, weit unterhalb jener Boni-Summen, die an Banken-Bankrotteure ausgeschüttet werden. Aber auch die ersten Millionen muss man sich schließlich zunächst einmal hart erarbeiten.
Die Kolumne erschien am 26.11.2010 in der Berliner Zeitung und in der Frankfurter Rundschau.