Zu leugnen, dass ein Tempolimit auf Autobahnen den CO2-Ausstoß senken würde, muss man als fahrlässige Ignoranz bezeichnen. Kolumne für den 16.11.2022
Unvergessen Volker Wissings schlagendes Argument, warum ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen nicht durchsetzbar sei: „So viele Schilder haben wir gar nicht auf Lager.“ Der Bundesverkehrsminister konterte damit im Frühjahr jegliche Bemühungen, die Höchstgeschwindigkeit wenigstens vorübergehend zu deckeln, weil es angeblich „einen Keil in die Gesellschaft treiben“ würde.
Am 11.11. in einem Interview noch einmal befragt – auf der amtlichen Seite des Ministeriums nachlesbar – ob denn ein einfacher Weg, etwas für den Klimaschutz zu tun und auch noch den Verkehr sicherer zu machen, nicht ein Tempolimit wäre und warum er es nicht einführen würde? Die schlichte Antwort: das Thema sei im Koalitionsvertrag nicht vorgesehen und außerdem bereits ausdiskutiert. Basta. Damit ist der FDP-Minister fast schon auf Scheuers Niveau gelandet. Sie erinnern sich: die Vorschläge einer von ihm einberufenen Verkehrskommission zu den positiven Folgen einer Geschwindigkeitsreduktion verstießen „gegen jeden Menschenverstand“, seien also schlicht bekloppt.
Scheuer noch im Kopf und das frische Wissing-Statement als Handlungsanweisung begreifend, machten sich dieser Tage Mitarbeiter der Autobahn GmbH des Bundes auf den Weg zur A 13 von Berlin in Richtung Abzweig Cottbus und legten alle 130er-Schilder flach, die dort seit 2019 aus gutem Grund aufgestellt waren. Das Timing war gut gewählt, denn der Kanzler reiste gerade zum Welt-Klimagipfel nach Scharm al-Scheich. Dort forderte er mehr Engagement gegen die Vernichtung der Regenwälder, versprach die Finanzierung eines Büros für einen Globalen Schutzschirm für Klimarisiken, versicherte deutsche Klimaneutralität bis 2045 und mehr Tempo beim Umstieg auf erneuerbare Energien.
„Mehr Tempo“ hat die Herrn Wissing unterstehende Autobahn GmbH dann wohl zu wörtlich genommen, um den Lenkern PS-starker Maschinen auf dem Weg von der Hauptstadt nach Dresden eine Freude zu machen.
Kaum ein Spruch scheint der deutschen Seele so nahe zu kommen wie „Freie Fahrt für freie Bürger!“ Und so kann man den bewährten Kampfruf mehrfach und freudvoll in den Kommentaren der Leser wiederfinden, die sie der guten Nachricht vom unbegrenzten A13-Tempo auf den Internetseiten des Senders RBB hinzugefügt haben. Der da geschrieben hat, „Jetzt ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis es wieder knallt und Opfer zu beklagen sind. Toll!“, der soll froh sein, dass er nicht unter seinem Klarnamen identifizierbar ist. Denn die Stimmungslage ist schnell gereizt, wenn der SUV mit 200 so einen 130ger vor der Stoßstange hat.
Wenn gemäß dem geltenden Klimaschutzplan der Verkehrssektor bis 2030 die CO2-Emissionen um rund 40 Prozent gegenüber 1990 senken soll, dann ist dies nicht allein mit Tempobeschränkung zu erreichen. Die Verlagerung großer Teile der LKW-Transporte auf die Schiene wäre genauso sinnvoll. Aber einfach zu leugnen, dass eine Begrenzung der Autobahngeschwindigkeit auf 120 den CO2-Ausstoß um 9 Prozent senken würde und so dem Klimaschutz dient, muss man als fahrlässige Ignoranz bezeichnen.
Ich war 1989 an der Kampagne „ADAC adé“ beteilgt. Mit einem Inserat in der Frankfurter Rundschau protestierten wir dagegen, dass sich der Club den Interessen der Autoindustrie unterwirft. Wir wollten das umweltfeindliche Verhalten nicht länger mit unserer Mitgliedschaft decken. Ausgelöst hatte unseren Protest die Klage des ADAC gegen den Westberliner Senat, der mit einem Tempolimit auf der Avus „den Westberlinern das letzte Stück Freiheit genommen“ hatte.
Die Kolumne erscheint am 16./17.11.2022 in der Frankfurter Rundschau.