Oskar Negt über Klaus Staeck (2015):

Der Sozialwissenschaftler und Philosoph Oskar Negt (1934-2024) schrieb 2015 diesen Text für den Ausstellungskatalog der Akademie der Künste „KUNST FÜR ALLE. Multiples, Grafiken, Aktionen aus der Sammlung Staeck“.

(…) Es gibt nicht sehr viele Intellektuelle in Deutschland, die mit einer der Haltung Klaus Staecks vergleichbaren Dauerhaftigkeit den öffentlichen Raum mit Denkanstößen versorgen. Es ist eben nicht das Großformatige des Künstlerdaseins, das ihn auszeichnet; häufig reicht eine Postkarte aus, die Menschen nachdenklich zu machen. Es ist eben die kleine Form, die er bevorzugt.

Mit Klaus Staeck verbindet mich mehr als das, was er an öffentlicher Wirksamkeit entfaltete, die auch für meine politische Orientierung viel bedeutet hat. Als ich ihn 1962, gerade Assistent des Philosophischen Seminars der Universität Heidelberg geworden, damals in dem kleinen Kreis des Heidelberger SDS kennenlernte, deutete absolut nichts darauf hin, dass er seinen 50. Geburtstag im Heidelberger Schloss feiern würde. Eigentlich erschien er mir eher als etwas zurückhaltend im politischen Engagement, kritisch und aufgeschlossen zwar, aber keineswegs auf irgendeine Position festgelegt. Dass Klaus Staeck sich zu einem Menschen entwickeln könnte, der dem Begriff der Orthodoxie eine unerwartete Wendung gibt, verblüfft mich heute noch. Er ist, glaube ich, so etwas, wie ein orthodoxer Sozialdemokrat. Er drückt in seiner Person aus, was in dieser Partei heute unzeitgemäß ist, er kämpft für die Erweiterung des kulturellen Mandats einer Partei, die sich gerade in diesem Bereich äußerst schwertut. Er betätigt sich als Organisator, stellt Verbindungen her, zweifellos übt er Einfluss auf einzelne Personen innerhalb der Linken aus, auch von seiner künstlerischen Tätigkeit, von den EingrifFen und Provokationen, die versteinerten Verhältnisse aufzubrechen und zu verwirren, gehen kreative Impulse aus.

Wie kein anderer hatte er erkannt, dass das kulturelle Selbstverständnis kein luxurierender Zusatz einer Emanzipationsbewegung ist, sondern ihr Bewegungszentrum. Kultur hat dabei immer etwas mit den Sinnen zu tun, ja der erweiterten Urteilsfähigkeit der Sinne. Wenn sie den menschlichen Freiraum erweitern sollen, müssen kulturelle Tätigkeiten den spezifischen Arbeitsprozess der Sinne zum Gegenstand haben. (…)

Hier der gesamte Text aus dem Katalog als pdf-Dokument.

Kolumne vom 30.09.2021 „Ende mit ‚alternativlos'“ über den „unermüdlichen Aufklärer Oskar Negt“