Für Oleg Senzow

Kolumne vom 12. Juli 2018

Foto von Oleg Senzow im Straflager, veröffentlicht von Human Rights Watch am 9.8.2018. FOTO: AFP/HUMAN RIGHTS WATCH

Wenn diese Zeilen gedruckt erscheinen, ist Oleg Senzow hoffentlich noch am Leben. Seit vier Jahren protestiere ich wie viele andere Künstler gegen seine Verschleppung von der annektierten Krim, gegen seine Verhaftung, gegen Verhöre und Folter in Moskau und gegen die Verurteilung des ukrainischen Filmemachers vor einem russischen Militärgericht zu einer absurd hohen Strafe. Seit 14. Mai nimmt Oleg Senzow im sibirischen Straflager Labytnangi, wo er die nächsten 20 Jahre verbringen soll, keine Nahrung mehr zu sich. Er will damit die Freilassung von mehr als 60 in Russland inhaftierten Ukrainern erreichen. Es geht ihm nicht nur um sein eigenes Leben.

Russland gibt sich noch bis zum Wochenende als weltoffener Gastgeber und es war nicht zu hören, dass nur ein Funktionär der FIFA nach dem Schicksal politischer Gefangener oder – wie im Falle Senzows – von Geiseln im Konflikt mit der Ukraine gefragt hätte. Es ist ein Skandal, dass die Fußballweltmeisterschaft zu Ende geht, ohne dass die einflussreichen FIFA-Granden mit ihren guten Beziehungen in die russische Regierungsspitze nicht eine Sekunde darüber nachgedacht haben, dass sie mit diesem für Milliarden Zuschauer übertragenen Sportereignis auch politische Verantwortung übernehmen, wie das Land, das seine politischen Gefangenen wie zur Zarenzeit verbannt und entwürdigt, der Welt eine Lüge der Harmonie und der Fußballeuphorie präsentiert.

Am Dienstagabend habe ich vor der russischen Botschaft Unter den Linden an einer Mahnwache teilgenommen. Nicht, weil ich glaube, das könnte Wladimir Putin beeindrucken, zumal ich annehme, dass Untergebene sich hüten werden, dem Herrscher unangenehme Nachrichten aus Berlin zur Kenntnis zu geben, die die Welt ohnehin nicht aus der Bahn bringen. Sondern weil ich für mich selbst die Bestätigung brauche, nicht in Lethargie zu verfallen, und einem politischen Gefangenen Respekt erweise. Dieser Respekt gilt auch seinem Anwalt Dmitri Dinse. Er hat es auf sich genommen, tausende Kilometer von Moskau in das Gefängnis von Jakutsk zu reisen, wo Senzow die ersten Monate vor seiner Verlegung in die Strafkolonie am Polarkreis verbrachte, um am Ende seinen Mandanten nicht einmal sprechen zu können. Dinse gehört zu den Unerschrockenen, die ihr Amt in einem Land mutig ausüben, das, wie wir aus den Fällen Politkowskaja und Nemzow wissen, auch gedungene Mörder mobilisieren kann.

Wie gehen wir künftig mit Russland um, welche Allianzen und Abkommen werden vernünftig und welche werden unvermeidbar sein, wenn Trump die traditionell Verbündeten der USA weiter vor den Kopf stößt, weil er die Welt nur aus der Perspektive des tricksenden Immobilienhändlers versteht? Wird es in Moskau in absehbarer Zeit eine Politikergeneration geben, die sich ein Leben jenseits eines autoritären und reaktionären Regierungsstils des gegenwärtigen Kreml vorstellen kann?

Noch haben wir in Europa die fatale Situation, dass die Gefolgsleute und Inspiratoren Trumps in der Spaltung der EU und in angedrohten Handelskonflikten ihr Ziel „Amerika zuerst“ durchsetzen wollen, während aus Moskau geradezu Sympathiebekundungen an AfD, Front National und alle anderen rechtspopulistischen Kämpfer gegen das „Establishment“ zu hören waren. Der russische Philosoph Alexander Dugin frohlockt bereits, weil er seine Hoffnungen auf ein russisch dominiertes Neo-Eurasien in bester Gemeinschaft mit den nationalistischen Zielen der Alternativen Rechten in den USA in Einklang sieht. Zu diesem Thema demnächst einmal mehr.

Die Kolumne erschien am 12. Juli 2018 in der Berliner Zeitung und in der Frankfurter Rundschau.

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