Kolumne, Juni 2007
Eigentlich sollte man sich ja freuen: Geiz ist nicht mehr geil. Dass der übelste Werbeslogan aller Zeiten vom Markt genommen wurde, hat aber nichts mit sittlicher Einsicht zu tun.
Die Chefs der größten Elektronikkette Europas können sicher sein, dass er in fast allen Köpfen fest verankert ist. Weil die Konjunktur angeblich wieder brummt, die Börse des Bürgers angeblich wieder lockerer sitzt, setzt man nun auf neue Sprüche und verkündet doch nur Altbekanntes. „Wir lieben Technik! Wir hassen teuer!“, promotet jetzt eine schöne Nackte. Gegeizt wurde gestern, jetzt darf endlich geliebt und gehasst werden. Ob Geiz oder Hass: die religiöse Sprachverirrung und weltliche Kundenverblendung ist totaler als je zuvor.
Dass Todsünden weiterhin zu Tugenden erklärt werden, regt in einer säkularisierten Schnäppchengesellschaft niemanden mehr auf. Doch dass die Werbung uns gleich doppelt und dreifach für dumm verkauft, sollte vielleicht auch den „preisbewusstesten“ Verbraucher stutzig machen. Zahlreiche Stichproben beweisen immer wieder, dass die größten Elektronikhändler weder die billigsten noch die besten Angebote machen. So mancher Preisknüller erwies sich schon bald als Dauerpatient in den Reparaturwerkstätten. Und manche Geräte sind nicht nur billig, sondern auch so billig gemacht, dass sie einem schon mal um die Ohren fliegen, in Flammen aufgehen oder für einen Stromschlag sorgen. Dann ist meist Schluss mit billig und Schluss mit lustig.
Beim ungezügelten Preiskampf ist der Kunde aber noch das stärkste Glied in der Kette der Verlierer. Denn Saturn und die anderen Discounter sparen nicht nur beim Personal, das im besten Falle nur die marktschreierischen „Fakten“ der Werbeprospekte nachbeten kann. Die Tiefpreispolitik der Billig-Anbieter trifft auch Produzenten und Händler, die ihre Waren unter Wert verkaufen und dann ihre Angestellten miserabel entlohnen. Verantwortlich dafür sind Verkäufer wie Verbraucher, die mit allem geizen, nur nicht mit ihrem Ellbogeneinsatz. Der kann bei Schnäppchenjägern mitunter so hart sein, dass Schaufenster zerbersten und Nasen bluten. Wie jüngst bei der Eröffnung von Deutschlands größten Media Markt am Berliner Alexanderplatz.
Auch wenn die Manager über das neue Markenbewusstsein und die wieder erwachte Kaufkraft schwadronieren, der neue Slogan von Saturn beschwört nach wie vor den alten Ungeist. Hat doch die Gesellschaft für Konsumforschung gerade erst ermittelt, dass die steigende Inflationsangst die Kauflust dämpfe und den Sparwillen anheizt. Deswegen bleibt die „Konzentration auf den Preis“ für Saturn und alle anderen Einzelhandelsriesen weiterhin oberstes Gebot. Nicht Serviceleistungen, sondern Sonderangebote zahlen sich für sie aus.
Lassen wir uns also von der „neuen“ Kampagne nichts vormachen. Geiz ist immer noch geil. Zumindest im Bewusstsein all jener, die Sparen mit Geiz und Qualität mit Quantität verwechseln. Denn die Kombination aus Geiz und Geilheit hat nicht nur die letzten Tabus einer immer brutaler werdenden Werbesprache gebrochen. Der sündhafte Spruch ist längst zum symbolkräftigen Selbstläufer geworden und konditioniert das Kaufverhalten aller Konsumenten, die auf jeden Preisknüller wie der Pawlowsche Hund auf das angekündigte Futter reagieren, nämlich mit Gier. Es bleibt dabei: Nicht Geiz, sondern Geist ist geil! Wenn es denn unbedingt immer und überall geil zugehen soll.