Kolumne April 2008
Was haben Konrad Adenauer, Johann Wolfgang von Goethe und Dieter Bohlen gemeinsam? Auf den ersten Blick nicht viel. Doch auf den „Zweiten“ eine ganze Menge. Schließlich wählten Millionen ZDF-Zuschauer sie vor fünf Jahren zu den „größten Deutschen“.
Adenauer brachte uns die „Westbindung“, Goethe den „Faust“ und Bohlen den „Superstar“. Selbst Immanuel Kant wurde gegen Beate Uhse ins Rennen geschickt. Wie hier Äpfel und Birnen mit Fallobst verglichen wurden, bleibt bis heute rätselhaft. Ohne diese Form des Tele-Rankings hätten wir wohl niemals erfahren, auf welche Deutschen wir Deutschen wirklich stolz sein können, welche Bücher wir am liebsten lesen oder welche Erfindung die bedeutendste war. Dank Kerner & Co. dürfen wir jetzt Ende April sogar endgültig über unsere „größten Fernsehmomente“ abstimmen. Ganz demokratisch, ganz selektiv und gänzlich ohne Sinn.
In der Tat geben die Listen den Zustand unserer Kultur recht anschaulich wider, wie das ZDF einst behauptete. Allerdings zeugen die scheinbar objektivierten Rang- und Hitlisten weniger vom stärkeren Bildungsinteresse des Publikums, sondern vielmehr vom Orientierungsverlust der Menschen und dem mangelnden Differenzierungsvermögen der Medien. Wer die wohltemperierten Kompositionen eines Johann Sebastian Bach und die schrägen Songs eines Pseudosuperstars wie Daniel Küblböck in einen Topf wirft und den Bürger dann entscheiden lässt, wer ihnen besser schmeckt, hat ein ziemlich verworrenes Verständnis vom kulturellen Erbe einer Gesellschaft.
Schließlich bemisst sich die Bedeutung und Leistung einer Person nicht nach der Summe eingegangener Stimmzettel, Anrufe oder E-Mails. Und schon gar nicht nach den unausgegorenen Statements selbsternannter Experten, den Statistiken der Meinungsforscher oder der Intensität, mit der jemand von den Medien hofiert wird. Außerordentliches lässt sich weder absolut noch national messen. Allerhöchstens relativ. Michael und Ralf Schumacher lassen sich an der Zahl ihrer gewonnenen Titel vielleicht noch miteinander vergleichen. Bei Albert Einsteins Relativitätstheorie und Max Plancks Quantentheorie brechen solche Messlatten sofort. Doch überall dort, wo objektive Kriterien fehlen, werden sie durch das „objektive“ Voting des Publikums ersetzt.
Da die verunsicherten wie vergleichssüchtigen Deutschen immer noch gespannt sind, wo ihre Politiker auf dem Politbarometer und ihre Autoren auf den Bestenlisten angesiedelt sind, ist ein Ende des Ranking-Unwesens nicht abzusehen. Solange bleibt ihnen aber auch nur derjenige in Erinnerung, der auf dem Siegertreppchen ganz oben steht. Die Zweit- und Drittplatzierten sind so schnell vergessen wie das kurzlebige Event selbst. Wer kennt heute noch die Gewinner der Silber- und Bronzemedaille großer Sportevents, wer die Länder, die im Pisa-Test nur knapp hinter Finnland lagen. Kaum jemand. Denn an erster Stelle im allgemeinen Gedächtnis steht immer der erste Platz. Da können sich die Abgehängten noch so abgestrampelt haben.
Ungeachtet der Absurdität all dieser Rankings: Höchstleistungen jedweder Art sind und bleiben meist unvergleichlich. Wer sie dennoch mit anderen misst, ist ebenso naiv, wie derjenige, der die Bedeutung einer Person mit deren Prominenz verwechselt. Nur wer die Einzelleistung im jeweiligen Umfeld betrachtet, vermag sie richtig einzuschätzen und vernünftig einzuordnen. Dann ist das ganz private Ranking dem öffentlichen ganz sicher um Längen voraus.