Italienische Sonderwege

Kolumne August 2008

„Rom ist kein Ort, wo jeder machen kann, was er will“, sprach der jetzige Bürgermeister und frühere Neofaschist Gianni Alemanno und kündigte an, die Polizisten der Hauptstadt wieder mit Schusswaffen auszurüsten. Schließlich sind Obdachlose und Prostituierte genauso wie Handtaschenräuber oder Falschparker ein Sicherheitsrisiko und ein Schandfleck im Stadtbild. „Um die Kriminalität zu stoppen“, sind nach Ansicht des italienischen Innenministers „kreative Ideen“ und brachiale Methoden gefragt.

Freilich nur, wenn es sich um kleinere Verbrecher mit kleineren Vergehen dreht. Größere Verbrecher mit größeren Vergehen hingegen dürfen in Rom durchaus machen, was sie wollen. Sogar Gesetze, die sie vor der Verfolgung eigener Straftaten schützen. Silvio Berlusconis Gespür für Gerechtigkeit und das Gemeinwohl sei Dank.

Dass der seit Mai wieder fest im Regierungssattel sitzende Cavaliere sich seine eigenen Gesetze schafft und nach eigenen Gesetzen handelt, darf mit Blick auf seine früheren „Staatsgeschäfte“ niemanden wundern. Auch bei seinem jüngsten Coup, der ihn vor unliebsamen Staatsanwälten und Strafverfahren schützt, kann er sich auf seine treuen Vasallen in Regierung und Parlament verlassen. Schließlich benötigen einige von ihnen selbst den Schutzmantel der Immunität, um ihre schmutzigen Westen zu verbergen. Etwa zwei Dutzend italienische Parlamentarier sind vorbestraft: Von Korruption über Steuerhinterziehung bis hin zum Widerstand gegen die Staatsgewalt ist fast jede Sünde vertreten, aber von Sühne keine Spur. Das ist in Europa ebenso einmalig wie Berlusconis selbstgerechter und selbstherrlicher Regierungsstil. Aber offenbar stört das kaum noch jemand in Europa.

Ebenso einmalig wie verwunderlich ist jedoch, dass über 60 Prozent der Italiener und selbst das sonst so kritische US-Magazin Newsweek mit dem „Wunder der ersten hundert Tage“ seiner neuen Amtszeit zufrieden sind. Von der kurzfristigen Beseitigung der Müllberge in Neapel und den vermeintlichen Steuersenkungen geblendet, fehlt es vielen Bürgern offenbar an demokratischem Durchblick. Nicht nur den Wählern Berlusconis, die sich lieber von Soldaten gegen illegale Einwanderer verteidigen lassen, als für soziale Gerechtigkeit, bürgerliche Freiheiten und rechtsstaatliche Standards zu engagieren. Auch die politische Linke erweist der Demokratie einen Bärendienst, wenn sie nur ihre Opfer- und Oppositionsrolle pflegt und sich darüber streitet, ob ihre führenden Köpfe an einer Großdemo gegen Berlusconis Immunitätsgesetz teilnehmen sollen. Selbst die harsche Kritik des katholischen Wochenblatts „Famiglia Christiana“ an der raffgierigen Regierung verpuffte rasch, als der Vatikan die Attacke seines publizistischen Zentralorgans öffentlich rügte.

Angesichts eines so ordnungsliebenden Wahlvolkes und einer so zerstrittenen Gegnerschaft kann Berlusconi schalten und walten, wie es ihm beliebt. Und sich schamlos damit brüsten, dass Italien endlich wieder eine Regierung habe, die wieder regiere und das Vertrauen der Italiener in die Institutionen wieder hergestellt habe. Dass in Wahrheit Korruption statt Korrektheit und Willkür statt Wohlstand herrschen, kann also nicht oft genug gesagt werden. Dazu reichen die scharfen Verbalattacken des Komikers Beppo Grillo gegen Berlusconi nicht aus. Gefragt ist Zivilcourage und die Einsicht künftiger Wähler, dass die Demokratie kein Selbstbedienungsladen ist.        

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