Kolumne Oktober 2008
Etwas stiller sind sie geworden. Die Herren von der „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ (INSM). Insbesondere ihr Kuratoriumsvorsitzender und Merkels Geheimtipp Hans Tietmeyer, der als Chef einer Expertengruppe zur Lösung der Finanzkrise vorgesehen war, aber von der SPD noch rechtzeitig verhindert werden konnte. Verstummt sind die selbsternannten Wohlstandspropheten aber noch lange nicht. Sie gestalten ihre Kommunikationsstrategie jetzt nur noch perfider und dreister.
Für den Geschäftsführer der neoliberalen Lobbyisten ist nämlich sonnenklar, wer neben den Börsen- und Bankenzockern versagt hat: Natürlich die Kapitalismus- und Globalisierungskritiker. Sie hätten mit ihren konkreten Krisenprognosen weit daneben gelegen und absolut falsche Ratschläge erteilt, hieß es letzten Samstag im Gastkommentar von Max A. Höfer für die „Welt“. Wer das Hohelied auf weniger Staat, mehr Markt und noch mehr Deregulierung wie Privatisierung singt, muss es ja wissen. Bleibt nur zu hoffen, dass die Bürger ob dieser Heilsbotschaften nicht doch wieder zum absoluten Marktglauben konvertieren.
Doch wenn selbst beim obersten Repräsentanten des Benediktiner-Ordens, Notker Wolf, neoliberale Töne einen positiven Resonanzboden finden, muss man stutzig werden. Hält er seinen Kopf in großformatigen Anzeigen doch schon lange für die INSM hin und predigt mehr Selbstständigkeit statt mehr Solidarität. „Die Leute bei uns suchen die Bequemlichkeit. Sie rufen nach dem Staat und wollen ihr kindliches Leben weiterführen“, legt er in Talkrunden den verzagten Arbeitslosen und Noch-Arbeitnehmern zur Last. Getreu dem Motto seines geheiligten Dienstherren „Ora et labora“ müssten die Deutschen „wieder lernen, dass Arbeit etwas Gutes ist, etwas das Spaß macht und Erfüllung bringt.“ In China, wo Demokratie, Menschenrechte und Umweltschutz mit Füßen getreten werden, dort nähmen die Menschen die richtige, dynamische Arbeitshaltung an, glaubt er. Will heißen: Leistung lohnt sich wieder. Fragt sich am Ende nur: Für wen?
Natürlich für die Profiteure und Propagandisten einer neuen sozialen Marktwirtschaft, an der allein neu ist, die soziale Marktwirtschaft so schnell und radikal wie möglich zu überwinden. Und zwar mit Unterstützung möglichst prominenter und glaubwürdiger Botschafter. Wenn man dafür nicht nur die Freunde aus FDP und CDU, sondern auch die Verirrten von SPD und Bündnisgrünen gewinnen kann, dann muss doch an der Glücksformel „Mehr Maloche für weniger Lohn, Rente und Sozialleistungen“ etwas dran sein. Und wenn Erhards Erben sich diese Gleichung vom arbeitgeberfinanzierten „Institut der Deutschen Wirtschaft” und anderer einschlägiger Experten durchrechnen und akademisch bestätigen lassen, wer wollte da als ökonomischer Laie noch widersprechen.
Aber genau dieser Widerspruch ist in Zeiten eines radikalen Sozialabbaus, deregulierter Finanzmärkte und einer ebenso zerstörerischen Privatisierungswelle zwingend. Besonders dann, wenn Arbeitgeberinteressen als Arbeitnehmerinteressen mit zweifelhaften Zukunftsversprechungen getarnt werden und nach 60 Jahren der Geist eines CDU-Mannes beschworen wird, gegen dessen Widerstand übrigens die staatliche Rentenversicherung eingeführt worden ist. Ein Wirtschaftswunder à la Erhard wird es für Deutschland in einer globalisierten Welt nicht mehr geben. Wer das behauptet, betreibt Augenwischerei. Wer ehrlich und nicht einseitig mit Arbeitslosenzahlen, Bildungsstatistiken und Sozialabgaben hantiert, dem kann man auch notwendige Reformen abkaufen. Vorausgesetzt sie zahlen sich auf Dauer nicht nur für die Unternehmen, sondern auch für deren Belegschaft aus.