Kolumne Dezember 2008
Um es gleich zu sagen: Ich bin kein Freund von Geburtstagen, vor allem nicht der eigenen. Aber um eine Feier zu meinem 50. kam ich nicht herum. Und so kamen viele Freunde und Bekannte, die mir das übliche lange Leben und viele weitere kreative Jahre wünschten. Es meldete sich aber auch ein freundlicher Journalist vom Südwestfunk an, er sei beauftragt, Material nicht für ein Porträt von mir, sondern für meinen künftigen Nachruf zu drehen.
Mit 50 fange man damit an. Inzwischen bin ich schon gut 20 Jahre weiter. Aber schließlich kann der nächste Tag schon der letzte sein. Da will man doch rechtzeitig wissen, was der Kandidat alles geleistet hat. Weniger, was er noch leistet oder leisten möchte. Ähnlich sieht es auch im Jubeljahr 2009 aus, wo man sich lieber der mehr oder weniger glorreichen Vergangenheit versichert, als sich der unbequemen Gegenwart und der ungewissen Zukunft zu stellen.
Man kann von Glück reden, dass zum 60. Geburtstag der Bundesrepublik nun doch kein Oldtimercorso über Berlins Unter den Linden rollt, vorbei an einem Stelenfeld von Werbesäulen, dem „Boulevard der Marken“. Ironie der Geschichte und der Gegenwart. Das alte Wirtschaftswunder kann nicht gefeiert werden, weil ein neues nicht in Sicht ist. Aus Mangel an Sponsoren, weniger aus Einsicht, wird das dreitätige Event nun zu einem „fröhlichen und würdigen, dem Anlass angemessenen Bürgerfest“ an einem Tag zusammengestutzt. Rund ums Brandenburger Tor bei Bier und Bratwurst soll das Volk nun bodenständig und bescheiden seine Verfassung feiern.
Mittlerweile vergeht kaum mehr ein Tag ohne ähnliche Andachten. Erinnerte man sich früher nur alle 25, 50 oder 100 Jahre an denkwürdige Personen oder Ereignisse, schlachtet man heute jedes Jahrfünft zum feierlichen Gedenken aus. So berichten die Medien ständig über 65. Geburtstage oder 85. Jahrestage. Mag der Akteur oder der Anlass auch noch so unbedeutend sein. Bei den großen, runden Zahlen beginnt zwischen Redaktionen und Eventagenturen schon Wochen vorher ein Wettlauf darum, wer als erster den 250. Geburtstag von Friedrich Schiller oder 20 Jahre Mauerfall vermarktet. Man versinkt in einer Gedenktagskultur, in der nur noch wenig hinterfragt, sondern alles so werbeträchtig wie möglich inszeniert wird.
Letztlich kommt es immer darauf an, wer, wie an was gedenkt. Der Bombennächte in Dresden vor 64 Jahren kann man gedenken, um an alle Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft zu erinnern und zur Versöhnung aufzurufen. Man kann die Toten aber auch als Opfer eines „Bomben-Holocaust“ missbrauchen, um von den wahren Verantwortlichen für Krieg und Judenmord abzulenken. So wie es Jahr für Jahr die Neonazis tun, um damit neuen Hass zu schüren. Dass am letzten Wochenende ein überparteiliches Bündnis den Jahrestag der Zerstörung Dresdens genutzt hat, um ein deutliches Zeichen gegen die braunen Schläger von Rechts zu setzen, beweist, dass Gedenken nicht zum feierlichen Ritual erstarren muss, sondern von ihm auch Signale ausgehen können.
Jubiläen können und sollen zum Nach- und Weiterdenken ermuntern. Eitle Selbstbespiegelung oder anbiedernde Lobhudelei sind genauso fehl am Platz wie lähmende Trauer oder muntere Freudentänze. Wer mit nostalgischen Gedenktagsfeiern glaubt, sich der Gegenwart entziehen zu können, ist für die Zukunft schon verloren. Das Jubeljahr 2009 bietet reichlich Chancen, den Blick zurück nach vorn zu richten. Man muss sie nur nutzen.