Kolumne Januar 2009
„Geht nicht wählen“ lautet die aktuelle politische Heilsbotschaft des amtierenden Amerika-Korrespondenten des Spiegel, verbreitet über alle Medien. In seinem neuesten Buch ruft der jetzt „bekennende Nichtwähler“ zur kollektiven Wahlverweigerung auf, um den deutschen Politikern und Parteien den sprichwörtlichen Denkzettel zu verpassen und die „demokratischen Leidenschaften der 70er Jahre“ entfachen zu können. Ich weiß nicht, die wievielte Nichtwählerwelle da durch die deutschen Landen rollen soll. Aber in Zeiten allgemein galoppierenden Irrsinns hat jeder Unsinn scheinbar wieder Konjunktur. Die auch schon früher vertretene These, wonach gerade die Wahlverweigerer die eigentlich politischen Wähler seien, war immer reichlich absurd.
Denn es bleibt dabei: mit der sinkenden Wahlbeteiligung werden nicht nur extreme Parteien gestärkt, sondern auch elementare demokratische Spielregeln verletzt. Als ob die Mütter und Väter des Grundgesetzes auf den Wahlzwang nur deshalb verzichtet hätten, damit die Bürger ihrer Politikverdrossenheit per Wahlenthaltung Luft machen können. Die Deutschen sollten nach der Nazi-Diktatur wieder frei entscheiden können, wen sie wählen wollen. Wer sein Kreuz auf dem Wahlzettel macht, handelt als eigentlicher Souverän im ureigensten Interesse. Je weniger Menschen wählen gehen, desto weniger Menschen bestimmen auch, wer das politische Sagen bekommt. Bei einigen Kommunalwahlen liegt die Beteiligung teilweise schon unter 20 Prozent. Wer bei dieser demokratischen Farce die Mehrheit der abgegebenen Stimmen erhält, hat gerade mal ein Zehntel der Wahlberechtigten hinter sich. Und dann wundern sich die Leute noch, dass vielleicht jemand ans Ruder kommt, dem man es partout nicht überlassen wollte.
Wem das derzeitige Angebot an Politikern und Programmen nicht passt, der ist aufgefordert, konstruktive Kritik zu üben oder es selbst besser zu machen. Das ewige Schimpfen auf die da oben und ihre Bürgerferne bringt ebenso wenig wie die stillschweigende Totalverweigerung. Viele Nichtwähler meiden den Weg ins nächste Wahllokal ohnehin nur aus purem Desinteresse und nicht aus aktivem Protest. Der politisch Interessierte wählt eher eine andere Partei, als sich gar nicht zu beteiligen. Mit der Nichtwahl macht man es nicht nur sich, sondern auch den Regierenden zu einfach. Wie sonst käme Wolfgang Schäuble im FAZ-Interview auf die tolldreiste Idee, die abnehmende Wahlbeteiligung als „nicht wirklich dramatisch“ einzustufen. „Sie ist ein Zeichen für eine relative Abwesenheit tiefgreifender Krisen – eine Gesellschaft, der es einigermaßen gut geht, ist nicht sehr fröhlich, sondern meist ein bisschen unzufrieden. Das ist völlig in Ordnung, Hurra-Verehrung ist etwas für Diktaturen“, meinte der Innenminister den Trend unbeeindruckt ins Positive wendend.
Dabei ist Wahlenthaltung das deutlichste Zeichen für eine ernste Krise. Und zwar der Demokratie. „Hurra-Verehrung“ ist in einer Demokratie nicht angebracht, trotzdem dürfen Regierung und Parteien nicht tatenlos zusehen, wie ihnen die Wähler in Scharen davonlaufen. Vertrauensbildung statt Verharmlosung ist bei den Politikern, Verantwortung statt Verweigerung ist bei den Wähler angesagt. Wer angesichts der Verharmlosung Schäubles nun auch noch zum Wahlboykott aufruft, der bestärkt den politikmüden Bürger, statt ihn zu mobilisieren. Nichtwählen – nein Danke. Aber: Einmischen – ja bitte.