Kolumne 20. Januar 2009
Würden Sie gerne gegen ihren erklärten Willen per Magensonde ernährt werden, um Wochen, Monate, vielleicht sogar Jahre künstlich am Leben gehalten zu werden? Und das obwohl Sie mit Sicherheit sterben werden und ein Leben ohne Schmerzen kaum mehr möglich ist. Oder möchten Sie wie eine junge Italienerin 16 Jahre lange im „irreversiblen Koma“ verharren müssen, weil Ihnen Kirche und Staat das Recht sterben zu dürfen verweigert? Vermutlich wollen das die wenigsten Menschen.
Doch die Wenigsten machen sich rechtzeitig Gedanken darüber, wie sie später einmal aus dem Leben scheiden wollen, wenn sie sich keine Gedanken mehr darüber machen können. Aber selbst Menschen, die bereits eine Patientenverfügung verfasst haben, können sich bei der momentanen Rechtslage ihres letzten Willens nicht sicher sein. Deshalb bedarf es einer gesetzlichen Regelung. Jedoch keiner, die uns schon zu Lebzeiten entmündigt.
Dies stünde zu befürchten, wenn der absurde „Entwurf des Gesetzes zur Verankerung der Patientenverfügung im Betreuungsrecht“ (Bosbach-Entwurf) beschlossen würde. Als Geiseln der medizinischen und juristischen „Vernunft“ müssten wir uns alle fünf Jahre vom Notar bescheinigen lassen, dass wir über alle Variationen des menschlichen Leidens und ihrer Linderung informiert wurden. Den Mediziner mit genügend Zeit möchte ich sehen, der dieses Problemfeld umfassend überblickt und individuell vermitteln kann. Und die potenziellen Patienten werden sich den Arztbesuch und die Notarkosten wahrscheinlich sparen. Solche bürokratischen Hürden machen den Normalbürgern eine Patientenverfügung praktisch unmöglich.
Hardliner wie Bischof Walter Mixa oder ZDF-Moderator Peter Hahne predigen unerbittlich auch den Gottlosen, dass „Gott allein … Herr über Leben und Tod“ und statt „Todessehnsucht … Lebensmut gefragt“ sei. Aber im Angesicht des Todes ändern vermutlich auch die Frömmsten ihre Meinung. Hätten sie wie viele Ärzte und Angehörige tagtäglich mit Schwerstkranken zu tun, würden sie die im Verborgenen blühende Sterbehilfe wohl nicht als Euthanasie denunzieren. Die leidensverkürzenden Maßnahmen aus eigener Willensentscheidung haben mit den Zwangspraktiken der NS-Ärzte rein gar nichts zu tun. Erst recht nicht, wenn sie von einer vernünftigen Patientenverfügung sanktioniert werden. Das liberalere System der Niederlande hat weder zur vermehrten „Tötung auf Verlangen“ noch zur viel beschworenen Suizidwelle geführt. Die Zahlen sind dort in den letzten Jahren sogar gesunken. Was in Holland auch mit einer besseren Versorgung und Kenntnis der Palliativmedizin zusammenhängt. Das ist in Deutschland leider noch nicht der Fall. Stattdessen müssen die Patienten radikalere Wege zur Schmerzbeseitigung einschlagen. Aber bezahlte Suizidhelfer wie Roger Kusch oder die Sterbehilfeorganisation in der Schweiz sind nicht die Lösung des Problems. Solche Beispiele zeigen nur – es besteht Handlungsbedarf. Damit sich niemand aus purer Verzweifelung in diese Grauzonen flüchten muss.
„Man kann nicht alle Prozesse des Lebens und Sterbens in gesetzliche Schablonen pressen“, meinte der Vizepräsident der Bundesärztekammer kürzlich zu Recht. Aber man kann es den Lebenden gesetzlich erleichtern, ihr womöglich qualvolles und würdeloses Sterben noch bei vollem Bewusstsein und in freier Willensbestimmung für sich zu regeln. Nur darum geht es.