Kolumne vom 9. Juni 2009
Bisher habe ich nicht unter Verfolgungsangst gelitten. Natürlich werden alle meine Wege auf fast jedem Bahnhof von Videokameras aufgezeichnet.
Jeder Kauf mit einer EC-Karte hinterlässt eine digitale Spur, demnächst werden meine Fingerabdrücke auf der Klinke der Ladentür meines Bäckerladens einem über der Verkauftheke hängenden Monitor ein Signal senden, um mich mit Bild und Ton zu begrüßen: „Herzlich willkommen, Herr Staeck, Ihre Mohnschnecke erwartet Sie!“ Solche Gedanken gingen mir durch den Kopf, als ich kürzlich wieder einmal mit der wachsenden Allmacht von Google konfrontiert wurde. Eine große Frankfurter Zeitung schrieb vor einigen Tagen über meine Ausstellung in der Berlinischen Galerie, der Artikel erschien auch in der Online-Ausgabe – und schon hatte Google mitten hineingesetzt: „Poster und Plakate von 1 bis 10000 Stück“. Ein Klick und ich landete bei einer Druckerei, die mich mit ihrem Werbespruch „Streifen machen schlank – wir Ihre Druckkosten“ empfing. Dabei blieb es nicht. Meine letzte Kolumne an dieser Stelle hieß „Monopoly Real“ – und als hätte Google darauf gewartet, konterte der Datenkrake meinen Text in fr-online.de mit der Frage „Kostenlos Monopoly?“ Er legte noch eins drauf mit dem Satz „Schluß mit den Schulden!“ – www.schulden-check.de. Die Kasino-Kapitalimus-Verlierer werden solche Empfehlungen gern lesen, aber ich hatte Google nicht um diese Amtshilfe gebeten. Noch eine dritte Empfehlung hatte Googles Schlagwortgenerator aus dem Text gefiltert: „Einfach Geld machen – 400€/Tag im Internet verdienen.“ Ich ahnte gar nicht, welche Reichtum verheißenden Folgen mein bescheidener Artikel für viele tausend Menschen haben könnte. Meine Neugier war geweckt. Ich wollte nun wissen, was Big Brother Google bei anderen Themen einfallen würde. Das Werbe-System heißt AdWords. Der Kunde schickt drei Werbezeilen, Google schlägt die Suchbegriffe („Keywords“) vor, der Kreativität des Auftraggebers steht es frei, diese um ein paar originelle Varianten zu ergänzen und schon kann es losgehen – ein Klick kostet 25 Cent. Nächster Test-Artikel: ein Bericht über den traurig-makabren Fund in der Berliner Charité, wo man Rosa Luxemburgs unbestatteten Leichnam vermutet. Als hätte die geniale Suchmaschine nur darauf gewartet, schlägt sie im Auftrag ihrer Anzeigenkunden erbarmungslos zu. „Leichenfundortsanierung – Wir machen da weiter, wo andere aufhören“, ist schon mal ein ethischer Volltreffer der Firma, die sich hinter der Adresse www.elite-24.de verbirgt. „Bin ich der Papa? DNA-Vaterschaftstest ab 174 €“ kann sich auch sehen lassen – es geht ja darum, zur Ermittlung der Identität der sterblichen Überreste entsprechendes DNA-Material finden zu müssen. Schließlich noch die Information, dass es eine Firma gibt, bei der komplette Pathologie-Einrichtungen bestellt werden können. Google entgeht nichts. Unsere Straßen, Häuser und Wohnungen sind von Google erfasst, all unsere Bücher sollen es bald auch sein. Wann merkt sich Google unsere Gesichter und Gemütslagen? Google weiß auch schon, wie es dem schwer angeschlagenen Handelskonzern Arcandor geht und was sie dort am nötigsten haben. Die AdWords-Anzeige zum FR-Artikel am letzten Samstag „Lage bei Arcandor spitzt sich zu“ empfahl fürsorglich: „Sterbeversicherung mit Sofortschutz vom Testsieger“. Sozusagen der finale Werbeschuss.