Alte Rechnungen

Kolumne August 2010

Überschwemmungen in Pakistan, Erdrutsche in China, Feuersbrünste in Russland, Tropenstürme auf den Philippinen und die Ölpest im Golf von Mexiko. Eine dramatischere Lage hätte man sich für die UN-Klimakonferenzen in Bonn kaum denken können. Selbst solch schrille Alarmsignale brachten die Klimadiplomaten zu keinem greifbaren Ergebnis. Statt endlich die Handbremse zu ziehen und sich auf verbindliche CO2-Reduktionen zu verständigen, bliesen die herbeigejetteten Regierungsvertreter aus aller Welt selbst wieder kräftig Kohlendioxid in die Atmosphäre. Das störte weder die Tagungsteilnehmer noch die Medien, die der aufs Scheitern programmierten Veranstaltung kaum noch Aufmerksamkeit schenkten, obwohl etwa 90 Prozent der heutigen Naturkatastrophen klimabedingt sind. 

Doch ein notwendiges Umsteuern ist bei den meisten Bürgern und Politikern nicht zu erkennen. Kaum jemand zieht ernsthafte Konsequenzen aus den längst bekannten Befunden. Will die Regierung Umweltsünder doch mal in die Pflicht nehmen, kommt sofort Gegenwind. So geschehen bei der geplanten Flugsteuer. Die jährlich gewonnene Milliarde soll nicht nur Haushaltsdefizite, sondern auch die Privilegien der Airlines gegenüber umweltfreundlicheren Verkehrsmitteln wie der Bahn reduzieren. FDP, CSU und Flugverkehrslobby warnten sofort vor „negativen Effekten“ für die Beschäftigten und schon droht Schäubles vernünftiger Vorschlag als fauler Kompromiss zu enden. Ökonomie versus Ökologie. Wie auch in der Autoindustrie, die jetzt wegen der großen Nachfrage wieder mehr luxuriöse CO2-Schleudern produziert und mit Sonderschichten prahlt. 

Als ich kürzlich in einem der „Sauna-ICEs“ von Berlin nach Düsseldorf saß, sorgten sich mehrere Rentnerpaare in meiner Nähe bei mehr als 40 Grad hauptsächlich darum, ob sie ihren Billigflieger nach Südafrika noch rechtzeitig bekommen. Als ein Mitreisender es vorsichtig wagte, die durch den Ausfall der Klimaanlage bedingte Verspätung mit dem Klimawandel in Verbindung zu bringen, waren die Fernreisenden konsterniert. Dass die Klimatechnik des ICE aus einer Zeit stammt, in der man an heißen Tagen mit maximal 32 Grad rechnete, konnte zu diesem Zeitpunkt keiner wissen. 

Wer glaubt, dass Menschen die Folgen des Klimawandels erst selbst erleiden müssen, um zur Vernunft zu kommen, irrt. Die meisten ignorieren die schleichenden Gefährdungen des Klimawandels selbst dann noch, wenn er schon vor der eigenen Haustür stattfindet. Andere aber möchten schon jetzt Geschäfte damit machen. Statt die klimabedingte Gletscherschmelze in der Polarregion effizient zu bekämpfen, spekulieren die Industriestaaten bereits jetzt auf die Bodenschätze unter dem längst nicht mehr ewigen Eis. Das Geologische Institut der USA vermutet in der eisbedeckten Region zwischen Grönland und Kanada 18 Milliarden Barrel Öl und Gas. Die Grönländer wähnen sich angesichts solcher Prognosen schon als Gewinner des Klimawandels. Den 57.000 Einwohnern dieser Insel aber werden Milliarden von Verlieren in aller Welt gegenüberstehen.

Was tun? Den Lebensstil radikal ändern, empfehlen Wissenschaftler und Naturschützer. Doch wer will das schon freiwillig? Dabei geht es längst nicht mehr um wollen, sondern um müssen. Wir sollen nur noch so viel verbrauchen, wie wir der Natur und damit uns zumuten können. Insofern ist gerade die Politik gefragt. Ein erneutes Scheitern der nächsten UN-Klimakonferenzen wäre wirklich eine Katastrophe.

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