Auf Teufel komm raus

Kolumne 10. September 2010

Wer in diesen Wochen Thilo S. entgehen wollte, dem blieb nur völlige Medienabstinenz oder er musste sehr, sehr weit reisen. Der Ex-Bundesbanker war stundenlang auf allen Kanälen, beherrschte sämtliche Titelseiten und wurde vom Spiegel gar zum „Volkshelden“ promoviert. Welcher Teufel reitet eigentlich so gut wie alle Medien, derart ausufernd in diesen Fall einzusteigen und zwangsläufig andere Nachrichten zu vernachlässigen? Geht es wirklich um die Sache oder bloß wieder um die Beteiligung am allgemeinen Krawall, den sie dem selbsternannten Migrationsexperten vorwerfen?

Der Kampf um Quoten und Marktanteile scheint vollkommen aus dem Ruder gelaufen, dass jedes Mittel der Aufmerksamkeitssteigerung gerechtfertig scheint. Insofern hat sich der Vegetarierbund Deutschland völlig PR-konform verhalten, als er zur Eröffnung seines Berliner Büros mit Anzeigen und Videoclips für ein „Menschfleisch-Restaurant“ warb und dazu passend nach Chirurgen und Körperteilspendern suchte. Fachleute nennen solche Kampagnen „Guerilla-Marketing“. Bleibt die schlichte Frage: Wie ist das noch zu toppen? Ganz einfach: Man setzt immer noch einen drauf, jede Schmerzgrenze locker überwindend. 

Den vorläufigen Höhepunkt im allgemeinen Wahnsinn zelebrierte mit seiner angekündigten Koran-Aktion der durchgeknallte amerikanische Prediger einer Mini-Sekte. Tagelang beherrschte dieser gefährliche Spinner weltweit die Topnachrichten. Bis in jedes deutsche Wohnzimmer. 

Oder anders gefragt: Welches Tabu, welche Regeln muss jemand brechen, will er eine ähnlich unglaublich breite Publicity erreichen wie der Autor eines blassen Buches voll kruder biologistischer Theorien aus Deutschlands Dunkelkammer. Welche monströsen Gedanken müssen im Kopf eines Verlegers kreisen, will er seine Bücher ebenfalls an die Spitze der Bestsellerlisten katapultieren? Mit Kritik muss er jedenfalls kaum rechnen, denn wenn schon von Verantwortung die Rede ist, wo bleibt dann die des Verlegers? Und wo bleibt dieses Gefühl bei den in der Causa S. sich in den Vordergrund drängenden, altbekannten Lemuren? Die medialen Trittbrettfahrer wollen schließlich auch etwas vom Aufmerksamkeitskuchen abhaben und stellen sich plötzlich als Mediatoren oder Verteidiger des „Verfolgten“ ins Rampenlicht. Spannender als die Erforschung des Basken-Gens scheint die Analyse des Eitelkeits-Gens allemal.

Trotz aller Dissonanzen gibt es im medialen Meinungswirrwarr noch eine glasklare Stimme, die sich der Aufklärung uneingeschränkt verpflichtet fühlt. An die „Arschloch“-Attacke anschließend war im bekannt kritischen Massenblatt folgende erlösende Botschaft zu lesen: „BILD kämpft für Meinungsfreiheit.“ Gesteigert durch den Aufschrei: „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen.“ In altbewährter Doppelstrategie engagiert sich BILD wieder für beide Seiten. Wie es sich für ein ordentliches Volks- und Regierungsblatt gehört, das schließlich alle bedienen will, um die schwindende Käuferschar bei der Stange zu halten.

Nach dem Motto „Nachschieben, Nachschieben!“ bahnt sich schon der nächste Coup an. So berichtet die deutsche Vorzeige-Feministin exklusiv in BILD über den nächsten Kracher: den nicht minder skandalumwitterten Kachelmann-Prozess. Es lebe die Presse- und Meinungsfreiheit!

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