Kolumne 29. September 2010
Jetzt haben die Empörungsrituale ihren Höhepunkt überschritten. Auch der letzte Kommentar zum Thema „25 Millionen Boni für HRE-Mitarbeiter“ ist geschrieben. Aber nichts passiert. Und wie wir den Laden kennen, wird auch nichts mehr passieren. Die Schamlosen genießen ungestört von moralischen Skrupeln die Früchte ihrer Schamlosigkeit.
Und schlimmer: sie und jene, die noch nicht zugelangt haben, wissen bereits, dass sie beim Griff in die Kasse nach einer zu erwartenden erneuten Empörungsphase ungestört weiter agieren können.
Was soll also der ganze Zirkus? Erregt haben sich: die Kanzlerin, der jetzige und der vorige Finanzminister, die Arbeitsministerin, Vertreter aller Parteien, die Gewerkschaften, die Sozialverbände und der Rest der Bevölkerung sowieso.
Bevorzugter Ort der veröffentlichten, brutalstmöglichen Erregung war allabendlich die Talkshow des Tages, damit sich der kleine Mann und die kleine Frau in ihrer Empörung zu Hause auf dem Sofa nicht so alleingelassen fühlen mussten, und, damit der kalkulierte Volkszorn in sichere Bahnen gelenkt werden konnte. So konnten alle vor dem Flachbildschirm beim Biere sitzenbleiben. Und auf die 25-Millionen-Boni fixiert lenkten ganz nebenbei politische Kommentatoren und Börsenexperten von der dringend notwendigen Debatte ab. Diese hätte sich auf eine völlig verfehlte Banken- und Finanzpolitik konzentrieren müssen, die immer noch voll auf das Risiko setzt, welches im Erfolgsfall die höchste Belohnung verspricht.
Es ist doch ein absurder Jux, dass man die erste Reihe der Manager mit immerhin einer halben Million Gehaltsdeckelung im Zaum halten will, während die führenden Geldverdiener vor allem unter den risikofreudig agierenden Investmentbankern in der zweiten Reihe zu finden sind. Wir sollen uns an der Boni-Debatte erregen, während der Kern des Übels erhalten bleibt. Nur eine Entschleunigung der irrealen Renditeerwartung kann die Casinostimmung vermiesen. Erst wenn das Gewinn- und Gefahrenpotential für die Finanzartisten in der Börsenkuppel geringer wird, dann würden auch deren Gehälter sinken und die Boni abstürzen.
So aber bleiben alle bei der wundersamen Ausrede, man müsse die „Leistungsträger“ und die „guten Mitarbeiter“ der Pleitebanken halten, sprich: ködern.
Das eigentliche Risiko tragen ohnehin die Steuerzahler. Ungefragt haften sie mittlerweile mit bis zu 142 Milliarden Euro für die marode HRE-Bank und dürfen auch noch die Sonderzahlungen für die „Finanzexperten“ zahlen.
Man beruft sich auf zurückliegende Verträge und langsam sollte öffentlich die Frage immer lauter gestellt werden, wer diese Verträge aufgesetzt und wer sie kontrolliert hat? Wie kann dem Verdacht begegnet werden, dass Akteure und Kontrolleure bis zum Absturz in die Krise ein quasimafiöses System am Laufen gehalten haben und immer noch halten?
Was ist das eigentlich für ein sonderbares Gesellschaftssystem, in dem Wenige ihren Spekulationstrieb auf Kosten der Vielen auch noch mit staatlicher Unterstützung ausleben können? Der Normalbürger versteht die Welt nicht mehr, besser gesagt jene Politiker, die diese Selbstbedienungsläden am Laufen halten. Der Weg von der Fassungslosigkeit zur Verbitterung ist kurz. Wenn solche Aktionen auch in Zukunft politisch folgenlos bleiben, werden sich immer mehr Bürger von ihren Vertretern in Parlamenten und Parteien abwenden. Die Beispiele von Bürgerenttäuschung erreichen langsam ein die Demokratie gefährdendes Ausmaß.