Digitale Sackgasse 

Kolumne 10. November 2010

„Die Zukunft gehört dem vernetzten Einkaufen“, meinte kürzlich der geschäftsführende „Götterbote“ von Hermes, dem zweitgrößten Paketzusteller in Deutschland. Soll man sich angesichts solch stolzer Visionen eher freuen oder beunruhigen? Mich lehrt es eher das Fürchten, wenn die Produkte nie mehr einen Ladentisch sehen, sondern völlig anonym über Datenautobahnen verschickt werden.

Schließlich bedeutet das immer weniger Kunden in immer weniger Läden. Und damit immer weniger Menschen, die sich begegnen und austauschen können. Zwar werden die digitalen Händler reicher, aber das Gespräch zwischen Kunden und Verkäufer ärmer. Wer nur noch virtuell unterwegs ist, surft in eine kommunikative Sackgasse und trifft letztlich nur auf sich selbst.

Die Fahrt in diese Richtung wird immer rasanter. Bereits im Juli suchte Amazon für das Jahresendgeschäft mehr als 3000 Saisonkräfte an seinen Standorten Bad Hersfeld und Leipzig. An Spitzentagen jagte der Alles-Vertrieb letztes Weihnachten fast 300 Lastwagen mit über 1,2 Millionen Artikeln durch die Republik. Die glücklichen Empfänger brauchten keinen Schritt mehr vor die Tür zu setzen. Der würde auch nirgendwo mehr hinführen. Denn wer bei Amazon & Co. seine Lektüre bestellt, wird schnell zum Totengräber des Buchladens um die Ecke. Mittlerweile straucheln wegen der Konkurrenz aus dem Netz sogar Giganten wie Hugendubel mit seinen zahlreichen Filialen. Beerdigt sind damit gleichzeitig die Begegnungen mit anderen Menschen und anderen Ansichten. Von versenkten Arbeitsplätzen im Einzelhandel ganz zu schweigen.

Die meisten wissen gar nicht, was sie tun. Selbst wenn die jugendlichen Dauersurfer der „Always-on-Generation“ einmal den Weg in die Shopping-Arkaden und Einkaufspassagen finden, dann oft nur, um die Schuhe oder CDs im Laden zu checken und sie dann zum Schnäppchenpreis beim günstigsten Online-Shop zu bestellen. Und die werden bald nur noch von den marktbeherrschenden Giganten des E-Commerce geführt. Wen Hermes-Chef Hanjo Schneider dann mit Blick auf das Briefgeschäft der Post beklagt: „Monopole sind nie gut“, ist das neoliberale Augenwischerei. Er und die Otto-Gruppe forcieren ihren Internethandel ja nicht, um sich den Markt mit anderen Wettbewerbern zu teilen, sondern um ihn am Ende wie ein Monopolist zu beherrschen. 

Begünstigen die Verbraucher mit ihrem digitalen Einkaufsverhalten den Schein der Vielfalt und Freiheit weiter steigend, machen nach den kleinen Geschäften irgendwann auch die großen Einkaufszentren und am Ende ganze Innenstädte dicht. Aber dann bleiben ja noch Oktoberfest, Fanmeile, Fußballarena und Vatertag als Orte der Begegnung. Dort, wo sich trotz Massenspektakel jeder selbst der Nächste ist. Letztlich liegt es in der Hand des Konsumenten, ob seine Stadt zur Kommunikationswüste oder zum lebendigen Ort eines regen Austauschs unter Bürgern wird. 

Wenn aber Kommunen veröden, menschliche Kontakte verkümmern und gemeinsam gelebte Kultur verarmt, regieren bald nicht nur Entfremdung und Anonymität. „Wo der sinnliche Erfahrungsraum einer Stadt verloren geht, zerbröckelt auch die politische Öffentlichkeit“,  prophezeit der Sozialphilosoph Oskar Negt. Das heißt: Wer nur noch in der digitalen Welt zu Hause ist, wird in der realen bald kein demokratisches Gemeinwesen mehr vorfinden. Sollte er es dennoch einmal vermissen, im Internet wird er es nicht kaufen können.  

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