Kolumne vom 25.02.2011
Warum setzen wir das Ansehen des öffentlich rechtlichen Rundfunks so leichtfertig aufs Spiel? Kaum noch konnten wir uns zu recht nicht genug über ein schändlich anachronistisches Zensurgesetz in unserem EU-Partnerland Ungarn erregen, da sehen wir fast ungerührt zu, wie ein Politikmagazin im ZDF parteipolitischer Einschüchterungspolitik geopfert werden sollte. Wir werden zu Zeugen, wie Medienpolitik nach Gutsherrenart benutzt wird, um Redakteure gefügig zu machen und um öffentliche Meinungsbildung zu behindern. Auch wenn die Anschuldigungen inzwischen weichgewaschen wurden, weil die Peinlichkeit wohl zu offenbar war, es bleibt das unangenehme Gefühl, die Gremien eines Senders schützten nicht dessen Unabhängigkeit und die freie journalistische Arbeit seiner Autoren und Redakteure sondern sehen sich berufen, politisch unangenehme Berichterstattung einzuschränken.
Warum stärkt ein Programmausschuss nicht konsequent das öffentlich rechtliche Fernsehen, damit es der von privater Konkurrenz vorgegebenen Verblödungsspirale besser widerstehen kann? Warum sehen die Parteienvertreter in den Rundfunkbeiräten nicht die Chance, dass die Auseinandersetzung der Zuschauer mit der provokative Meinung in einem politischen Magazin Lust auf die demokratische Debatte machen könnte?
So wie die Wiederwahl des ZDF-Chefredakteurs Brender verhindert wurde, ohne die Scherben des politischen Porzellans zu fürchten, das hierbei zu Bruch ging, wurde nun erneut in selbstherrlicher Manier ein Beispiel gegeben, dass in diesem Lande die Zeichen von Politikverdrossenheit und Resignation beharrlich ignoriert werden.
Wie wünscht sich dieses Programmaufsichtspersonal jenseits von Forsthaus Falkenau und Ärzteromanzen das Programm, das ihren Vorstellungen entspricht? Darf ungestraft nur noch das Ventil „Neues aus der Anstalt“ einmal im Monat zischen als wäre politische Satire ein Karnevalsvergnügen?
Ein Blick vom Lerchenberg ins weite Land der ARD-Anstalten. Dort packen sie Tag für Tag eine Talkshow in ihr Abendprogramm – natürlich „ausgewogen“ besetzt, und inzwischen steigt meine Trefferquote auf gut 75% beim Tip, welche unvermeidlichen Teilnehmer wir zu welchen unvermeidlichen Themen zu erwarten haben. Denn auch die Themen werden in dieser Inflation des Geschwätzes zwangsläufig immer ähnlicher: sonntags Dr. zu Guttenberg, dienstags nur noch zu Guttenberg, selbstverständlich ohne spürbaren Erkenntnisgewinn aus den Scheindebatten von Kritikern und Verteidigern für den immer noch geduldigen Zuschauer. Auch dieses Talkentertainment hat eher Ventilfunktion. Nur selten hat man noch den Eindruck, es bestünde überhaupt die Absicht, einen Beitrag politischer Aufklärung leisten zu wollen. Und seit die politischen Magazine ein Drittel ihrer Sendezeit eingebüßt haben, ist nichts hinzugekommen, was diesen Verlust gerechtfertigt hätte.
Ich habe Verständnis für die Dokumentarfilmer in unserem Lande, die sich von den Programmverantwortlichen der beiden öffentlich rechtlichen Hauptsender zunehmend ausgegrenzt empfinden – wenn überhaupt noch wahrgenommen, dann abgeschoben in die tiefsten Nachstunden. Es wird vorausgesetzt, jeder interessierte Zuschauer mit normalem Schlafbedürfnis verfügt über einen Recorder, um später einmal die raren Schätze des Programms zu heben.
Ich bin und bleibe ein Verteidiger der Öffentlich Rechtlichen und bekenne mich dazu: ich habe die Einführung des Privatfernsehens vor einem Vierteljahrhundert einmal einen Sündenfall genannt. Der Zweite Sündenfall wäre es, würden wir die Werte eines demokratisch verfassten Massenmediums verschleudern, die wir doch zu verteidigen haben.
Die Kolumne erschien am 25.02.2011 in der Berliner Zeitung und in der Frankfurter Rundschau.