Kolumne März 2011
Kürzlich glaubte ich meinen Augen nicht zu trauen, als der Gründer der Kosmetikfirma „Intelligent Nutrients“ langsam die Kappe von der schmalen braunen Flasche drehte, eine milchige Flüssigkeit in ein Glas füllte, sie mit ein wenig Wasser verdünnte und dann zum Trinken ansetzte. Er leerte es mit einem genussvollen Schluck und verkündete sinngemäß: „Was meinen Haaren und meiner Haut bekommt, ist auch gut für meinen Magen“. Schließlich bestand der soeben von ihm geschluckte Haarfestiger zu hundert Prozent aus organischen Stoffen in Lebensmittelqualität, selbstverständlich ohne Dioxin.
Alles nur ein PR-Gag, ein Täuschungsmanöver oder Taschenspielertrick, um Kunden zu ködern? Sollten die über achtzig Unternehmen und Institute, die auf dem derzeitigen Cradle to Cradle-Festival im Berliner Architekturforum „Aedes“ voll kompostierbare T-Shirts, Toilettenrollen oder schadstoffneutrale Filzstifte präsentieren allesamt Scharlatane sein? Wohl kaum. Produzieren sie doch nach dem „Von der Wiege-zur-Wiege-Konzept“ des Chemikers Michael Braungart und des Architekten Bill McDonnough, das es zu hundert Prozent gut mit dem verwendeten Material, der Umwelt und dem Verbraucher meint. Nach diesem, dem Kreislauf der Natur abgeschauten Prinzip sollen zukünftig nur noch jene Waren das Licht der Welt erblicken, aus deren schadstofffrei produzierten Einzelteilen und Inhaltsstoffen auch wieder neue hergestellt werden können. „Jedes Produkt ist so konzipiert, dass es ein Nährstoff für ein anderes Produkt ist“, lautet das Recycling-Credo. Nicht weniger schädlich produzieren, sondern von der Idee bis zur Fertigung auf hundertprozentige Umweltverträglichkeit und Wiederverwendung setzen. Kurz gesagt: Aus neu macht neu.
Derzeit verfahren die Industrienationen aber noch immer nach dem Prinzip „Cradle To The Grave“, also von der Wiege bis zur Bahre. Sie üben solange Raubbau an der Erde, bis keine Rohstoffe mehr zu holen sind und nur noch die Mülldeponien als Rohstofflager übrigbleiben. Besonders umkämpft sind die Seltenen Erden. Ohne diese wertvollen Metalle würden keine Elektromotoren mehr laufen, keine Handys mehr senden, keine Computer mehr hochfahren und keine Flachbildschirme mehr leuchten. Globale Kommunikations- und Wirtschaftskreisläufe würden kollabieren. Plündert und verarbeitet die Wirtschaft aber die Bodenschätze weiterhin so gedankenlos, kommt dieser Kollaps schneller als uns lieb sein kann.
Doch statt dem Horrorszenario mit innovativen Nachhaltigkeitskonzepten und konsequenter Abfallverwertung entgegenzuwirken, setzt die EU nun auf den forcierten Abbau jener Seltenen Erden. Sieben Prozent des weltweiten Vorkommens ruhen angeblich in den Böden der Mitgliedsstaaten. „Wir sollten das Potenzial finden“, sagte der EU-Industriekommissar bei der Vorstellung des Strategiepapiers letzte Woche in Brüssel, den Blick auf den weltweit gierigsten Rohstoffschlucker China gerichtet. Der Rohstoffraub in der Heimat und geschickte Handelsabkommen mit rohstoffreichen Ländern in Afrika und Asien stehen ganz oben auf dieser EU-Agenda. Erst an dritter Stelle des Papiers wird auch halbherzig verstärktes Recycling gefordert. Genau umgekehrt müsste die Prioritätenliste lauten. Dann ginge die Rechnung für Unternehmen wie Konsumenten vielleicht noch auf und die Natur bliebe geschont.