Kolumne 12. März 2012
Was können wir uns noch leisten? Mit dieser Frage wachen Stadtkämmerer, Rundfunkintendanten und Finanzminister in Bund und Ländern jeden morgen auf. Eigenartig, dass die Frage meist mit besonderer Intensität gestellt wird, wenn Kulturausgaben auf der Streichliste stehen. Für den einen geht es um fünftausend Euro, die schon über das Schicksal einer kommunalen Galerie entscheiden können – für einen anderen um fünf Millionen, wenn aus zwei Orchestern eines gemacht werden soll. So geschieht es gerade im Südwesten der Republik, wo exakt zu diesem Preis eine Fusion des Sinfonie-Orchesters des SDR Stuttgart mit dem Rundfunkorchester Freiburg/Baden-Baden erwogen wird.
Es heißt, eine vom Sender beauftragte Unternehmensberatung habe dies dem Intendanten empfohlen. Der Hörfunkdirektor sagt, er könne den „Schutzzaun“ um seine Orchester nicht mehr länger garantieren. Der Kulturauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks steht insgesamt zur Debatte. Ob Orchester zusammengelegt werden sollen oder ob der WDR sein drittes Hörfunkprogramm bis zur Unkenntlichkeit reformieren will – die Proteste der Hörer werden stärker und ebenso der Legitimationsdruck für die Medienverantwortlichen. Sie müssen nämlich dem zahlenden Bürger erklären, warum teure Senderechte für die Übertragung von Fußball und Boxen höherwertige Güter sind.
Dabei darf nicht vergessen werden, dass Funk und Fernsehen in diesem Lande immer noch zu den größten Kunst- und Kulturproduzenten wie -förderern gehören. Das System funktioniert also noch, aber es zeigt bedenkliche Schwächen, wenn Effektivitätsfahnder und Quotenzähler ungehindert losgelassen werden.
Die Zusammenlegung oder im schlimmsten Fall die Auflösung von Orchestern ist für Komponisten und Musikfreunde schmerzlich genug, sollte den Blick aber auch auf ein anderes, ein soziales Problem lenken. Die Deutsche Orchestervereinigung zieht alle zwei Jahre Bilanz und hat festgestellt, dass in den letzten zwanzig Jahren ein fünftel der deutschen Orchester verschwunden sind. Im gleichen Umfang sank die Zahl der festangestellten Orchestermusiker und – wen wundert es – im Osten war der Abbau viel stärker als im Westen. Manche Orchester konnten nur durch massiven Gehaltsverzicht ihrer Mitglieder am Leben gehalten werden, freie Stellen bleiben unbesetzt, Praktikanten und Teilzeitbeschäftigte halten den Spielbetrieb oft gerade noch aufrecht.
Die Folgen sind nicht allein für die Einhaltung künstlerischer Standards verheerend. Es entsteht ein hochtalentiertes, gut ausgebildetes Prekariat junger Musiker, die keine Chance haben werden, einmal von ihrem Beruf leben zu können. Rund Zehntausend fest angestellten Orchestermusikern steht die doppelte Zahl von Absolventen gegenüber, die im letzten Jahrzehnt von den Musikhochschulen ins erhoffte Berufsleben entlassen wurden. Sie alle hatten eine andere Idee, als für ein Hobby zu studieren. Gleiches gilt natürlich auch für Bildende Künstler, deren Jahreseinkommen oft auf Hartz-IV-Höhe veranschlagt werden kann.
Welche Lösungen gibt es, wenn in künstlerischen Berufen nicht nach einem realen „zahlenmäßigen Bedarf“ sondern einzig nach voller Auslastung der Hochschulkapazitäten ausgebildet wird? Wohl keine, denn persönliche Freiheit – auch die der Berufswahl – schließt das Risiko ein. Eine bittere Erkenntnis. Um so wertvoller sollte uns deshalb all das sein, was sich eine verantwortungsbewusste Gesellschaft im Kulturbetrieb weiter leisten können muss.