Neueste soziale Marktwirtschaft

Kolumne 21. September 2012

In den vergangenen Wochen wurde viel mit Zahlen um sich geworfen. Gerade erst lasen wir den Entwurf zum vierten Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung, der schonungslos offenlegte, dass eine Upperclass, sprich ein Hundertstel der Haushalte, über ein Viertel des Volksvermögens verfügt, während die Hälfte der Deutschen nur ein Prozent des Gesamtvermögens besitzt. Dass diese keineswegs neue Erkenntnis soviel Staub aufwirbelt und für gehörigen Zwist im Kabinett sorgt, zeigt immerhin, wie blank die Nerven liegen. Die soziale Schieflage weist keineswegs in Richtung Stabilisierung.

Doch der soziale Sprengstoff wird offenbar immer noch für feuchtes Pulver gehalten, wenn man sieht, mit welcher Energie gegen die geringsten Ansätze von steuerpolitischen Korrekturen vorgegangen wird. Schon der Gedanke einer Vermögensabgabe ist Teufelszeug und wird mit dem Gespenst der drohenden Kapitalflucht gebannt. Der Staat habe seine Finanzmittel stärker für Investitionen und weniger für Sozialpolitik, die naturgemäß nicht produktiv sei, einzusetzen, heißt es aus dem CDU-Wirtschaftsrat, der keine Veranlassung hat, seine neoliberale Grundhaltung zu kaschieren. So wie  das Staatsvermögen nicht zuletzt als Konsequenz aus den Finanz- und Wirtschaftskrisen in den letzten 20 Jahren um 800 Milliarden geschrumpft ist, ahnt man, wer angesichts sozialisierter Verluste die Zeche zu zahlen hat.

Aber es gibt auch schönere Statistiken. So konnte man bei einem Bundesländerranking zu Wirtschaftskraft und Wohlstand Bayern mit Abstand siegen sehen. Hamburg strahlte als Stadtstaat, in dem es sich nach Aussage der Bewohner am besten leben lässt. Für den Osten ging Sachsen als Erster durchs Ziel, wenngleich Platz 10 unter allen Bundesländern den Lorbeer etwas welk erscheinen lässt. Dass in Sachsen Straftaten im Vergleich zu sinkenden Zahlen im Bundesdurchschnitt angestiegen sind und die Quote der Schulabgänger ohne Abschluss ebenso, sollte den verordneten Optimismus jedoch nicht trüben. Die Studie verheißt Aufstieg und allgemeines Wohlbefinden. Also eine freundliche Atmosphäre für Investoren. 

Ihr Auftraggeber war neben einer Wirtschaftszeitung die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft. Und spätestens jetzt müsste der geneigte Leser stutzig werden, denn wo ISNM draufsteht, da steckt viel Lobbyarbeit drin. Die Arbeitgeber der Metall- und Elektroindustrie gründeten vor 12 Jahren diese PR-Maschine, wobei man PR auch gern mit Propaganda übersetzen kann. Ablehnung von verbindlichen Mindestlöhnen, hemmungslose Privatisierung, Abbau des Kündigungsschutzes, Einschränkung der Arbeitnehmerrechte, weil diese die wirtschaftliche Entwicklung hemmen – all  das gehört zur ISNM-Litanei. Deren Mitglieder als Kuratoren und Botschafter (mit dabei natürlich erwähnter CDU-Wirtschaftsrat) werden nicht müde, in Großanzeigen, Talkshows und auf anderen Bühnen der Öffentlichkeit ihr Lobbyistengeschäft im Dienste der Vervollkommnung einer marktkonformen Demokratie zu betreiben. Eigenartig, dass jüngst eine Personalie der ISNM, der neue Kuratoriumsvorsitz, so wenig beachtet wurde. Natürlich hat ein Lobbyist reinsten Wassers den Zuschlag erhalten, ein Mann, der in Bei- und Aufsichtsräten zahlreicher Unternehmen sitzt, der nichts ausließ, um Hartz-IV-Empfänger zu diffamieren und Arbeitslose als die eigentlich Schuldigen an ihrer Lage zu verhöhnen. Die Neue soziale Marktwirtschaft wird nunmehr durch Wolfgang Clement repräsentiert. 

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