Kolumne September 2012
Wie oft bin ich schon – gelegentlich auch lauernd – gefragt worden, ob ich denn glauben würde, dass man mit Kunst etwas bewirken könne. Eine meiner Standardantworten, dass die Kunst zunächst gar nichts müsse, es aber allemal spannend sei, wenn sich beispielsweise Kunst und Politik aneinander produktiv reiben würden, provozierte meist neue Fragen. Denn so einfach zu beantworten ist diese Frage nicht. Schon der Kunstbegriff entzieht sich einer verbindlichen Definition. Und mit welcher Maßeinheit misst man Wirkung?
Bei meiner eigenen Arbeit bin ich kein Anhänger des L’art pour l’art, sondern unternehme ständig aufs Neue den verwegenen Versuch, Kunst und Leben zu verbinden, allen damit verbundenen Konflikten zum Trotz. Dass viele meiner Interventionen nicht ohne Wirkung blieben, lässt sich vordergründig an der großen Zahl von Prozessen, Verboten und spektakulären öffentlichen Auseinandersetzungen ablesen. Aber wie steht es mit der stillen, der nachhaltigen Wirkung? Denn zugegeben, es waren meist die schrillen, skandalträchtigen Aktionen, die sich breiterer Aufmerksamkeit erfreuten.
Wie stellt man heute mit künstlerischen Strategien Öffentlichkeit her für wichtige gesellschaftliche Themen? Bedarf es des ganz großen Tabubruchs in einer Gesellschaft, die kaum noch Tabus kennt? Als Salman Rushdie wegen seiner Satanischen Verse von den Ayatollahs mit der Fatwa bedroht wurde, konnte er sich internationaler Solidarität sicher sein. Es war der Autor, der mit seinem Buch Zweifel an einer religiösen Welt gesät hatte, deren Führern nichts Besseres einfiel, als mit einer Todesdrohung zu antworten.
Als jetzt die jungen Frauen der Gruppe Pussy Riot mit ihrer Aktion in der Moskauer Erlöserkirche die Liaison von Kirche und Regierung unter Putin mit drastischen Mitteln kenntlich machten, haben sie eine globale Welle von Aufmerksamkeit ausgelöst, die ihresgleichen sucht. Seit dem Gerichtsurteil mit Lagerhaft wissen wir genauer, wie es um die Meinungsfreiheit in Russland steht. Keine Talkshow, Podiumsdiskussion oder Akademiegespräch hätte eine derart breite Diskussion auslösen können.
Es sind die autoritären Regime und religiösen Fanatiker dieser Welt, die der Kunst offenbar durchaus eine Wirkung zutrauen, die es zu bekämpfen gilt. Die Liste der verfolgten Künstler wird immer länger. So wurden neben vielen anderen der chinesische Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo und der Künstler Ai Weiwei ihrer Freiheit beraubt. Der iranische Musiker Shahin Najafi muss sich in Deutschland verstecken wegen eines Liedes, das ihm vier Fatwas mit einer Todesdrohung einbrachte. Der dänische Karikaturist Kurt Westergaard lebt wegen einer Mohammed-Zeichnung nun schon seit sieben Jahren in Arhus unter Polizeischutz.
Assads Schergen haben dem syrischen Karikaturisten Ali Fersal die Hände gebrochen, damit er den verhassten Staatschef nicht weiter karikieren kann. Der mutige kasachische Theatermacher Bolat Atabejew saß im Gefängnis, weil er streikenden Ölarbeitern seine Solidarität bekundete. Islamische Extremisten wüten derzeit in Mali und Libyen gegen jahrhundertealte Bibliotheken samt Kulturdenkmälern und Sufi-Schreinen. Und es waren tunesische Salafisten, die kürzlich die neue Freiheit missbrauchten, um ganze Kunstausstellungen zu verwüsten.
Diese kurze Liste belegt, dass die Bedrohung für Kunst und Künstler zunimmt. Da erscheint die Forderung eines deutschen Autors nach der Verschärfung des Blasphemie-Paragrafen hierzulande dann doch nur wie eine peinliche Fußnote.