Konsequent  insolvent

Kolumne 25. Oktober 2012

Die Insolvenzankündigung einer wichtigen deutschen Nachrichtenagentur hat selbst einen besonderen Nachrichtenwert. Wobei einige der dapd-Mitarbeiter durchaus schon auf Erfahrungen mit den Existenzkrisen des Vorgängers ddp verweisen konnten. Zwei Investoren, V. und L., die bislang ihr Geld damit verdienten, marode Unternehmen billig zu erwerben, von Personal zu befreien – was man auch „umstrukturieren“ nennt – und mit Gewinn zu verkaufen, hatten sich in die Journalistikbranche aufgemacht.

Sie versicherten, einen langen Atem bis zur Gewinnzone zu haben und entwickelten gleichzeitig immer mehr Appetit, den Markt zu erobern, einen ambitionierten Sportdienst aufzubauen und jüngst erst eine Agentur für Unterhaltung und Lifestyle. Dabei kämpften sie sich mit einer aggressiven Preispolitik ins bisher unangefochtene dpa-Terrain vor. Selbst das Außenministerium kapitulierte vor den gewährten Rabatten und verzichtete, sicher maßgeblich mit dem Blick auf den Bundesrechnungshof, auf den Dienst des langjährigen Partners dpa. Nun also die Insolvenz, begleitet von massiven Vorwürfen an die einst umworbenen Kunden, immer zu wenig bezahlt zu haben.

Das ganze könnte man vornehm „Scheitern einer Unternehmensstrategie“ nennen, wäre damit nicht ein gravierendes gesellschaftliches Problem verbunden. Es geht schließlich um die Meinungsvielfalt in unserer Presselandschaft, um einen unabhängigen Journalismus, der sich in der gegenwärtigen Krise tradierter Geschäftsmodelle und zunehmend prekärer Beschäftigungsverhältnisse zu behaupten hat. 

Wenn nun mehr als die Hälfte der dapd-Beschäftigten dem finanziellen Kollaps zum Opfer fallen, wirft dies auch ein Licht auf die Lage vieler Journalisten, die ihren Beruf nur mit einem Höchstmaß an Selbstausbeutung ausüben können. Gut ausgebildete Berufseinsteiger haben sich über Praktika mit einem durchschnittlichen Stundenlohn von 2,93 Euro hochzudienen. Am Ende erwartet sie keineswegs sicher eine feste Anstellung als Redakteur sondern immer häufiger die Übernahme durch eine Leiharbeitsfirma. Der Deutsche Journalistenverband hat bereits 20 Tageszeitungen ermittelt, die sich der Leistung von Leihredakteuren bedienen. Es heißt, dies sei ein Trend, der „wie eine Welle über die Branche schwappt“. Leihredakteure erhalten weniger Gehalt, weniger Urlaub und natürlich nur einen befristeten Arbeitsvertrag. Wie schon längst in der Industrie, so entsteht auch hier eine Zweiklassengesellschaft. Dass sich unter solchen Bedingungen kaum selbstbewusste, auch aus einer sozialen Sicherheit heraus unabhängig schreibende Journalisten entwickeln können, wird offenbar in Kauf genommen. Wer eine Familie ernähren will, kann ja mit einem Bein in das PR-Geschäft einsteigen oder gleich Werbetexte verfassen.

Jüngst war zu  lesen, dass die renommierteste spanische Zeitung El Pais unter der Finanzherrschaft einer Investorengruppe um Nicolas Berggruen ein Drittel ihres Personals entlassen wird. Die traditionsreiche schwedische Tageszeitung Svenska Dagbladet streicht 40 Redakteursstellen und verzichtet künftig auf das tägliche Feuilleton. In den USA gibt es mit New Orleans die erste Metropole, die sich – außerhalb der Footballsaison – gar keine regelmäßig erscheinende Tageszeitung mehr leisten wird. Insofern haben wir in Deutschland immer noch das Gefühl eines einigermaßen intakten Mediensystems, auch wenn ich jeden Morgen am Kiosk beim Blick auf die BILD-Schlagzeilen daran zweifeln könnte. 

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