Kolumne Dezember 2012
Es ist die große Stunde der Medienexperten, -analysten, -wissenschaftler, -manager. Alles, was irgendwie mit Kommunikation zu tun hat, meldet sich zu Wort. Die medialen Beerdigungsunternehmen, samt sachkundigem Trauerpersonal, sie jedenfalls haben Hochkonjunktur.
Die branchenspezifische Häme hält sich durchaus in Grenzen. Das wohl auch deshalb, weil einigen Akteuren bewusst sein dürfte, dass auch sie bald auf die Hilfe der Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger angewiesen sein könnten.
Mag jetzt auch die eine oder andere Krokodilsträne vergossen werden – das nach Aufklärung und Recherche dürstende Milieu ist in großer Sorge. Vor allem wegen des drohenden Endes der Frankfurter Rundschau. Der vielseitig engagierte Medienforscher Lutz Hachmeister hat in einem taz-Interview auf den Punkt gebracht, was auf dem Spiel steht: „Eine der größten Errungenschaften der bürgerlichen Aufklärung ist der Journalismus, der sich durch redaktionelle Kommunikation stimuliert und gegenseitig überprüft.“
Wenn man wie ich seit über 40 Jahren die FR abonniert und gelesen hat, sie einen wesentlichen Anteil an der eigenen politischen Sozialisation hatte, dann ist dem kritischen Begleiter dieses geistige Nahrungsmittel natürlich an die linke Herzkammer gewachsen. Auch wenn wir beide nun ins Rentenalter gekommen sind, bleibt es bei der Parole: „Holger, der Kampf geht weiter!“. Aber gegen wen soll der Kampf geführt werden? Wer ist der Gegner? Die junge Generation etwa, der immer wieder attestiert wird, sie lese keine Zeitung mehr? Sind es die Anzeigenkunden, die lieber im Netz oder in BILD inserieren? Oder ist es in dieser prekären Situation besser, sich für etwas zu engagieren: mehr Leser, mehr Anzeigen, neue Geschäftsmodelle? Soll gar nach staatlicher Unterstützung gerufen werden, auch auf die Gefahr hin, dass der freie Journalismus über kurz oder lang in die Abhängigkeitsfalle gerät? In einigen Ländern wird diese Hilfe im Sinne der Meinungs- und Informationsfreiheit praktiziert, ohne dass die Pressefreiheit erkennbar Schaden genommen hätte. Schließlich ist die Presse noch ganz anderen Versuchungen ausgesetzt. Jedenfalls ist dieser Weg eine Überlegung wert, solange die maroden und korruptesten unter den Banken unter dem Gütesiegel „systemrelevant“ ihre Zockerschulden weiter auf die inzwischen nicht mehr ganz so ahnungslosen Steuerzahler systemgerecht abwälzen können, verdienen die für die Meinungsbildung relevanten Zeitungen allemal öffentliche Unterstützung. Warum nicht über einen Rettungsschirm für jene Unternehmen nachdenken, die sich um die Demokratie verdient machen, statt den Schattenbanken eine rosige Zukunftsperspektive zu eröffnen?
Dabei geht es nicht nur um die viel beschworene Meinungsvielfalt, die durch den Ausstieg der FR Schaden nehmen würde. Denn ein Blick auf den schier unendlichen Markt der Yellow Press beweist, dass auch eine Vielfalt in Einfalt möglich ist.
Die FR ist sozial-liberal in der besten Tradition der Aufklärung, unabhängig und frei. Daran änderte auch der Einstieg der SPD nichts. Die traditionelle Streitlust der Linken hat sie davor bewahrt, eine Parteizeitung zu werden.
Für mich gehören die vier überregionalen Tageszeitungen zu meinem persönlichen Demokratiegrundbedarf. Die große Zahl der bereits gezeichneten Solidaritätsabos beweist, dass die FR noch gebraucht wird. Noch scheint nicht alles verloren. Im Medienzeitalter ist die gewährte Galgenfrist bis zum 31. Januar eine halbe Ewigkeit.
Klaus Staeck