Der Kampf um die Begriffe

Kolumne September 2015

Als ich 1956 die DDR illegal verließ, war ich künftig ein SBZ-Flüchtling, Republikflüchtling für die alte Heimat. Für die DDR war die Bundesrepublik nur noch die BRD und der Westteil Berlins die „Selbständige politische Einheit Westberlin“. Die DDR war sehr kreativ, wenn es um Neuschöpfungen von Begriffen ging. Die mit Selbstschussanlagen bewehrte Grenze war eine „Friedensgrenze“, die Mauer der „Antifaschistische Schutzwall“.

Und die Atombombe verlor einen Teil des Schreckens als „atomare Gefechtsfeldwaffe“. Vor allem im Konsumbereich blühte die Phantasie. So wurden aus den Weihnachtsengeln „Jahresendflügelfiguren“. Auch der Tod wurde sympathischer, als der Sarg zum „Erdmöbel“ mutierte.

Nun, da der Sarg wieder ein Sarg ist und der Kalte Krieg vorerst vorbei, spielt sich der Kampf um die Deutungshoheit der Sprache auf anderen Feldern ab. Durch den massenhaften Zustrom von Flüchtlingen ist ein neuer Streit entstanden. So reklamierte der Netzaktivist Sascha Lobo in einer Talkshow, man solle die zu uns Drängenden besser Vertriebene nennen. Mag sein, dass durch die Erinnerung an die Armee der Heimatvertriebenen ein wenig Empathie auch bei jenen Mitbürgern geweckt werden könnte, die den Flüchtlingen immer noch feindlich begegnen.

Kurt Biedenkopf hat als ehemaliger CDU-Generalsekretär sich schon früh des Themas angenommen. Bereits 1973 war er der Überzeugung, wer in der politischen Auseinandersetzung erfolgreich sein will, müsse die „Begriffe besetzen“. Das gilt besonders für die Kommunikationsgesellschaft dieser Tage, die schon den alt aussehen lässt, der mit den ständig neuen Anglizismen für oft Alltägliches nicht mehr mitkommt. 

Schon lange frage ich mich, was an den viel gerühmten „Sozialen Netzwerken“ wirklich so sozial ist, wenn sie auch als Plattform für übelste Hassmails dienen. Und erst der Justizminister als Bittsteller bei Google antreten muss, damit diese Tiraden gelöscht werden. Facebook als Netzwerk o.k., aber was ist an der milliardenschweren Geschäftsidee mit Börsennotierung sozial? Auf der gleichen Ebene vollzieht sich die Perversion des Begriffes Freund. Denn natürlich kann niemand 1586 Freunde haben.

Der Vorgang ist immer der gleiche. Vertrauen wird zerstört, indem Begriffe, die Vertrauen signalisieren, mit fremden Inhalten gefüllt werden. Die Hülle wird nur noch für das Täuschungsmanöver gebraucht.

Im Rahmen des Skandals um die marode Berliner Landesbank kam es 2005 zu einem Streit, in dem es auch um den traditionsreichen Begriff „Sparkasse“ mit seinem Vertrauensbonus ging. Was lag da näher, als seine Käuflichkeit anzustreben? Nach Paragraph 40 des Kreditwesengesetzes dürfen sich aber nur öffentlich-rechtliche oder am Gemeinwohl orientierte Institutionen „Sparkasse“ nennen. Bürgerinitiativen verteidigten die so firmierenden Geldinstitute – damals auch gegen die mehrheitlich neoliberal agierende EU.

Im Kapitalismus droht früher oder später jede menschenfreundliche Idee zum Geschäftsmodell, selbst Vertrauen kann zur Ware werden. Einen der dreistesten Missbräuche vernünftigen Handelns versucht gerade Uber.  Dieser Konzern versucht jetzt unter dem Deckmantel der „sharing economy“ das Vertrauen potentieller Kunden zu erschleichen, um einen 20%-Anteil bei jedem Transfer für seinen bescheidenen Vermittlungsdienst zu kassieren.

Der Kampf um die Begriffe wird oft genug nach dem Credo geführt: „Je dümmer der Konsument, desto besser fürs Geschäft“.

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