Für fairen Handel

Kolumne Oktober 2015

Je näher die für Samstag in Berlin angekündigte Großdemonstration gegen TTIP und CETA rückt, desto aufgeregter reagieren die Medien. Während die Befürworter der Freihandelsverträge von BDI bis Automobilverband sich lange eher bedeckt hielten, wollen sie nun offenbar retten, was nur schwer zu retten ist.

Keine Kosten scheuend wird derzeit die Mitte Berlins mit Großflächenplakaten „Pro-TTIP“ eingedeckt. Die zentrale Botschaft: „Wofür soll TTIP eigentlich gut sein?“ Ja, wofür eigentlich? Das fragen sich inzwischen mehr als 3 Millionen besorgte Bürger in Europa. Die plakatierten Antworten fallen recht dürftig aus. 

In Anbetracht des täglichen Warenaustausches von 1,8 Milliarden Euro zwischen den USA und Europa ist angesichts der aktuellen Hebesätze das Versprechen vom Abbau der Zölle marginal. Auch „Für die Abschaffung unnötiger Bürokratie. Für klare und faire Regeln im internationalen Handel“, ließe sich nach Verlassen der Wagenburgen bald eine ganz große Koalition verabreden. Denn die zentrale Forderung im Demo-Aufruf lautet: „Für einen gerechten Welthandel!“ Nicht mehr erwähnt werden die zunächst versprochene wundersame Vermehrung der Arbeitsplätze und die Steigerung des Bruttosozialprodukts. Diverse Gutachten haben diese Erwartungen ins Reich der Fantasie entsorgt.

Keine Erwähnung finden die harten Streitpunkte. Besonders an den privat organisierten Investor-Staat-Schiedsverfahren ohne Berufungsmöglichkeit scheiden sich die Geister. Inzwischen droht eine neue Falle – die „regulatorische Kooperation“. Gemeint ist Möglichkeit und Anspruch der von Gesetzesvorhaben potentiell Betroffenen, schon während der demokratischen Abstimmungsprozesse auf die Texte Einfluss zu nehmen.

USA und EU verfügen über eine ordentliche Gerichtsbarkeit. So wie wir uns mit unserem Rechtssystem gegen die Scharia wehren, wollen TTIP- und CETA-Kritiker auf keinen Fall, dass eine Parallelgerichtsbarkeit entsteht. Auf den neuen Vorschlag eines speziellen öffentlichen Gerichtshofs haben die USA bereits abweisend reagiert.

TTIP und CETA betreffen fast alle Lebensbereiche. Schon deshalb bleibt die Forderung nach Transparenz der Verhandlungen und Aufklärung über die Folgen bestehen. Bisher können Abgeordnete ihre Rechte nicht wahrnehmen. Es geht nicht um Antiamerikanismus, wenn Bürger ihre Standards im Arbeits- und Sozialrecht, bei Umwelt, Kulturförderung, Datenschutz und Urheberrecht bis hin zur Buchpreisbindung gegen die Zumutungen von TTIP und CETA verteidigen. Es sind die global agierenden Großkonzerne, die nach der Macht greifen. Für sie sind Demokratie und Rechtsstaat nur lästiges Beiwerk. Es geht um ihren Monopolanspruch, nicht nur um Rücklichter, PKW-Seitenspiegel und das fast zu Tode gebrühte Chlorhühnchen. In Frage stehen audiovisuelle Dienste,  öffentliche Dienstleistungen wie die Wasserversorgung, samt Öffentlichem Rundfunk. Deshalb muss der Streit um das mit Kanada „ausverhandelte“ CETA-Abkommen ebenso intensiv geführt werden. Sonst droht TTIP durch die Hintertür.

Wenig hilfreich für die Debatte ist, dass die FAZ-Sonntagszeitung ihre Leserschar vor der „Empörungsindustrie“ und der „Protestfirma Campact“ warnt. Die Demo wäre ein passender Anlass für die Bundeskanzlerin, aus der Rolle der Narkoseschwester der Nation herauszutreten und auf die vielfältige Kritik an TTIP und CETA einmal inhaltlich einzugehen, anstatt nur ständig zu wiederholen, dass sie diese Abkommen unbedingt will.

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