Information ist wahnsinnig schnell. Es dauert aber, sie zu bewerten und einzuordnen. Qualitätsmedien können mit dieser Langsamkeit punkten. Kolumne vom 25.1.2018
Als der Januarsturm „Friederike“ über das Land fegte, hinterließ er nicht nur umgestürzte Bäume und den üblichen TV-Brennpunkt über Chaos und Bahnreisende ohne Anschluss. Zusätzlich gab es im digitalen Medienzeitalter einen Twitterorkan der Massen, zum Foto- und Videoevent für Amateurreporter, die per Smartphone Episoden der Katastrophe aufzeichnen und über das Netz verbreiten.
Die Twitterbotschaft „Friederike hieß meine Ex – ihr hättet gewarnt sein müssen!“ und das Handyvideo vom Radfahrer, der irgendwo in den Niederlande seinem Drahtesel hinterherfliegt, schafften es, sofort aus dem Internet in die Sendungen des linear verbreiteten Fernsehens zu gelangen. So kamen beide Formen – der Journalismus des konventionellen Fernsehkanals und die Produkte der allseits verfügbaren Mitmachmedien – wieder zusammen. Vielleicht wird man sich beim übernächsten Sturm schon fragen: Warum noch TV-Reporter vor die Tür schicken und in Gefahr bringen, wenn sowieso alles aufgezeichnet wird?
Verbreitungsdynamik von Wort und Bild im Netz
Der Verbreitungsdynamik von Wort und Bild im Netz läuft das Redaktionssystem einer Fernsehanstalt ohnehin hinterher. Der Journalismus alter Form ist ein Auslaufmodell im Zeitalter der Sofort-Sichtbarkeit, der unmittelbaren Verfügbarkeit jeglicher Information. Der twitternde und videofilmende Volkskorrespondent muss sich an keine Regeln der Wertigkeit und Wichtigkeit mehr halten. Auch das kleinste banale Spektakel wird mitteilenswert, gibt dem, was früher nie an das Licht der Öffentlichkeit gekommen wäre, Relevanz. Entscheidend ist nur noch die Zahl der Klicks und der „Likes“ der Nutzer.
Wir finden sie schon überall, die schöne neue Medienwelt der Oberflächlichkeit, der schnellen Reize, der blitzartigen Verbreitung. Seit das Internet das Ende des Redaktionsschlusses eingeläutet hat, rast die Journalismusmaschine online pausenlos. Jeder nichtige Ausraster eines Prominenten im Boulevardteil, aber auch jeder Wahnsinnsakt eines Attentäters im Panoptikum des Schrecklichen aus aller Welt sollen sofort den Nachrichtenkunden erreichen. Kein Wunder, wenn in diesem Dauerrennen um die Gunst der Aufmerksamkeit gelegentlich Tatsachen auf der Strecke bleiben und die Kompliziertheit von Zusammenhängen den einfach zu vermittelnden Botschaften nicht mehr angeheftet werden können.
Phänomen der Skandalgesellschaft
Der Tübinger Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen beschäftigt sich schon seit einiger Zeit mit dem Phänomen der Skandalgesellschaft. Sie lebt von den täglichen Erregungsexzessen, die sich aus dem Zusammenspiel von „Tweeds und Postings, klassischen Medienbeiträgen und der aktuellen Wutwelle ergeben, die eben gerade durch die sozialen Netzwerke rauscht“.
Auf die Frage, ob eine Rückkehr zu einer entschleunigten, sachlichen Berichterstattung überhaupt noch vorstellbar ist, antwortet Pörksen mit einer Mahnung an die Qualitätsmedien. Sie müssten sich darüber im klaren sein, das Geschwindigkeitsrennen im digitalen Zeitalter nur verlieren können.
Punkte lassen sich allein im Genauigkeitswettbewerb sammeln. „Denn es kostet Zeit zu recherchieren, mehrere Quellen zu prüfen und schrittweise zu verifizieren, was man überhaupt publiziert. Diese unvermeidliche Langsamkeit gilt es, als besondere Leistung sichtbar zu machen. Information ist, wie der Netzphilosoph Peter Glaser einmal gesagt hat, ‚wahnsinnig schnell, Wahrheit braucht jedoch Zeit.’“
Die Kolumne erschien zeitgleich in der Berliner Zeitung und in der Frankfurter Rundschau.