Es rechnet sich nicht mehr, die „taz“ am Kiosk zu verkaufen. Der Trend scheint also eindeutig. Doch das Papierlesen entschleunigt, das digitale Lesen führt einen oft ins Beliebige. Kolumne vom 23.8.2018.
Dort, wo es früher eine Sparkassenfiliale mit hilfs- und auskunftsbereiten Mitarbeiterinnen gab, steht heute ein Automat. Ein Berliner Stadtteil im Osten verlor vor zwei Wochen seine Postfiliale. An der Tür, die oft offen stand, weil die Warteschlange bis auf die Straße reichte, seitdem der Hinweis: Die Dienste übernimmt eine Lotto-Annahmestelle an anderem Ort.
Über die Schnapsidee der Berliner S-Bahn-Manager, den Fahrplan besser einzuhalten, wenn die Züge einfach durchfahren und das lästige Ein- und Aussteigen der Passagiere entfällt, konnte man immerhin noch lachen. Wenigstens dieser kühne Gedanke zur Effektivitätssteigerung einer Firma, die eigentlich der Daseinsvorsorge verpflichtet sein sollte, wurde vorerst fallen gelassen.
In die Reihe der ökonomisch begründeten sukzessiven Alltagsveränderung gehört auch eine Nachricht, die ich kürzlich las: Eine traditionsreiche überregionale Tageszeitung wird in vier Jahren nur noch als Wochenendausgabe auf Papier zu lesen sein. Es rechnet sich nicht mehr, die „taz“ am Kiosk zu verkaufen oder den Abonnenten in den Briefkasten zu werfen. Druck und Vertrieb der Zeitung sind bei steigenden Papierpreisen und im Trend des alle überregionale Tageszeitungen treffenden Leserschwunds von jährlich zwei bis fünf Prozent nicht mehr zu bezahlen, heißt es im aktuellen Geschäftsbericht.
„Das Zeitalter der gedruckten Zeitung ist zu Ende, der Journalismus lebt im Netz weiter“, schreibt „taz“-Geschäftsführer Karl-Heinz Ruch in seinem „Szenario 2022“. Die Leute würden sich ohnehin die Nachrichten nur noch aus dem Netz aufs Smartphone holen, und der Kioskverkauf von Zeitungen sei nichts anderes mehr als eine Art von Papier-Recycling, wenn abends neunzig Prozent der Lieferungen als Altpapier wieder eingesammelt werden müssten.
Es geht nur noch darum, profitable Geschäftsmodelle für einen digitalen Journalismus zu finden, der die Smartphone-Leser vom Stöbern in den News zu zahlungswilligen Abonnenten macht, die mehr wissen wollen, als ihnen bis zur Paywall-Grenze geboten wird. Das ist die Herausforderung des Papier- und Kostensparprogramms.
Ich will die Nöte der Zeitungsbranche nicht kleinreden. Der massive Einbruch des Anzeigengeschäfts und der digitale Wandel der Informationsübermittlung hat unausweichliche Konsequenzen. Der enorme Druck auf Journalisten, im Minutentakt online liefern zu müssen führt den Redaktionsschluss ad absurdum. Smartphone und Computer haben den Leser zum Dauerkonsumenten gemacht, der das Medium wechselt, wenn die News nicht auf dem allerletzten Stand sind.
Das ist eine fatale Entwicklung, weil Zeitunglesen für mich immer Informations- und Kulturbedürfnis war. Hintergründe entdeckt man beim Kreuz-und-quer-Lesen auf den Papierseiten und beim Blättern, ich streiche an und schneide aus, kann verweilen und werde nicht minütlich mit immer neuen Informationen plus Werbung zugeschüttet. Papierlesen entschleunigt, das Lesen von digitalen Angeboten treibt in einen Sog, außer dem Wesentlichen auch noch das x-Beliebige anzuklicken, um am Ende in den Kommentaren AfD-naher Trolle oder wichtigtuerischer Blödsinnverzapfer zu landen.
Für heute genug Kulturpessimismus. Ich wünsche der „Berliner Zeitung“, Frankfurter Rundschau, „taz“ und allen, denen die Generation Prä-Smartphone nicht gleichgültig ist, ein langes Papierleben und den Leuten an der Bahnsteigkante, dass auch in Zukunft der Zug noch hält.
Die Kolumne erschien am 23.8.2018 in der Berliner Zeitung und in der Frankfurter Rundschau.