Appell gegen das Schweigen
Überall in Europa formieren sich die Rechten. Jeder muss sich jetzt bekennen und für die Demokratie einstehen. Niemand kann sich mehr bedeckt halten. Kolumne vom 20.9.2018.
Eigentlich hatte Roberto Saviano genügend Feinde, seit er mit dem Anti-Mafia-Buch „Gomorrha“ Weltruhm erlangte. Nun hat er sich seit dem Amtsantritt des italienischen Innenministers auch noch mit diesem angelegt. Er nennt Salvini den „Minister der Finsternis“, der die Sprache eines Mafioso spreche, manchmal auch nur einen Trottel, aber er beschreibt immer sehr konkret die ausländerfeindliche Politik, die Lügen und Drohungen, mit denen der Lega-Politiker und Vizepremier seine populistische Propaganda betreibt.
Salvini zahlte es ihm heim mit der Ankündigung, er könne das Geld für Savianos Schutz jederzeit streichen und die Karabinieri, die sein Überleben garantieren, einfach abziehen lassen. Saviano weiß, welches Risiko er mit dieser Fehde eingegangen ist.
EU und Migranten Quelle allen Übels
Ich hatte ihn vor sechs Jahren zu einem Akademie-Gespräch nach Berlin eingeladen, um sein Buch über den Widerstand gegen Mafia und Korruption vorzustellen, und ich erlebte ihn als einen scharfsinnigen, klaren Kopf. Er ist ein politischer Aktivist im Kampf gegen die kriminellsten Auswüchse des Kapitalismus und gegen die jüngsten Angriffe auf Demokratie und Bürgerrechte in seinem Land, das sich seit den letzten Wahlen und dem Erstarken neofaschistischer Gruppierungen so massiv verändert hat.
Das Verlöschen der Opposition macht es den Rechten leicht, großen Teilen von verunsicherten, wirtschaftlich oft benachteiligten Bürgern einzureden, dass EU und Migranten Quelle allen Übels und aller Ängste seien. Salvini sieht in der Allianz europäischer Rechtspopulisten bei der anstehenden Wahl zum Europaparlament „die letzte Möglichkeit zur Rettung Europas“.
Sein Ziel ist ein neues Bündnis, damit der rechte Flügel die größte Fraktion im künftigen Parlament bilden kann. Die AfD wittert hier bereits ihre Chance. Ungarns Premier Orban wird mit Salvini kürzlich auch nicht nur über die Abstimmung gleicher Ziele in der Flüchtlingspolitik geredet haben. Und vor wenigen Tagen erst gab es ganz offiziell eine Begegnung des neuen italienischen Polit-Popstars mit Steve Bannon, der sich gerade der europäischen Rechten als eine Art transatlantischer Chefberater andient und zu diesem Zweck in Brüssel eine Stiftung gegründet hat, die sich „Die Bewegung“ nennt. Wir leben wahrlich in bewegten Zeiten.
Demokratie in ernster Gefahr
Roberto Saviano hat Ende Juli einen Appell gegen das Schweigen veröffentlich, der viel zu wenig beachtet wird. „Wo seid ihr? Warum versteckt ihr euch? All ihr Autoren, Journalisten, Blogger, Philosophen, Schauspieler: Heute können wir es uns nicht mehr erlauben, nur das zu sein. In dieser Zeit muss jeder, der die Möglichkeit hat, zu einem Publikum zu sprechen, es als seine Pflicht verstehen, Position zu beziehen.“
Nach 70 Jahren werde Italien wieder empfänglich für die Slogans fremdenfeindlicher Parteien. Die antifaschistische und antirassistische Demokratie sei in ernster Gefahr, wenn die Regierung die Werte, die den Kern der Verfassung ausmachten, nicht mehr respektiere. Deshalb gebe es Momente, in denen es nicht mehr genüge, den Widerstand an die eigene Kunst zu delegieren. „Die Zeit, sich bedeckt zu halten, ist vorbei. Es gibt nur Komplizen oder Rebellen.“
Das ist Savianos Antwort auf die Anzeige wegen Verleumdung, die der Innenminister gegen ihn erstattet hat. Ende August wurde Salvini selbst angezeigt. Weil er 177 Migranten nicht von Bord eines Schiffes der Küstenwache ließ, ermittelt die Justiz wegen Amtsmissbrauch und Freiheitsberaubung gegen ihn.
Die Kolumne erschien am 20. September 2018 in der Berliner Zeitung und in der Frankfurter Rundschau.