„Autoritärer Nationalradikalismus“ bedroht die offene Gesellschaft
Kulturinstitutionen und Künstler beziehen Stellung gegen Nationalismus. Das alarmistisch zu nennen, ist falsch. Die Drohung „Wir werden sie jagen“ gilt auch ihnen. Kolumne vom 15.11.2018
Vom vergangenen Freitag, diesem geschichtsträchtigen 9. November ist neben der Erinnerung an die bekannten Jahrestage unseligen Antisemitismus, Ausrufung der Republik und Mauerfall auch ein Signal ausgegangen, das hoffentlich anhaltende Wirkung haben wird. Im Berliner Max-Liebermann-Haus trafen sich Initiatoren von mehr als 140 Kultureinrichtungen und proklamierten eine „Erklärung der Vielen“ gegen Rechtspopulismus und völkisch-nationale Tümelei. Aus Dresden, Hamburg, Nordrhein-Westfalen und weiteren Regionen kommen immer mehr Unterstützer – eine bereits exzellente Liste von Theatern, Kunsthochschulen, freien Gruppen und Einzelkünstlern. Man will zusammenstehen, um jene zu schützen, die Hetze und Schmähungen erfahren, oder in Theateraufführungen, wie es bereits in Sachsen und Thüringen geschah, durch Provokationen gestört werden. Den Vorwurf des Alarmismus, den man nun schon zu hören bekam, halte ich für eine gefährliche Verharmlosung, weil der „autoritäre Nationalradikalismus“ längst die offene Gesellschaft und die liberale Demokratie bedroht. Wer dazu eine gründliche Analyse finden will, der sollte das gerade erschienene Buch „Autoritäre Versuchungen“ von Wilhelm Heitmeyer lesen. Der Bielefelder Konfliktforscher hat bereits 2001 in seinen Studien einen Anstieg des Rechtspopulismus vorhergesagt und als Ursachen einen enthemmten, rabiaten Finanzkapitalismus beschrieben, der zur Demokratieentleerung führt, die sozialen Netze dünner werden läßt und den Zurückbleibenden die gesellschaftliche Anerkennung versagt. Menschen, die dies erlebten, seien anfällig dafür, dass „die nationale Identität zum Anker wird, der in stürmischen Zeiten Stabilität verleihen soll.“ Aus diesem Neonationalismus schöpfen AfD, Identitäre und Rechtsextreme und sie radikalisieren ihn zugleich, um die Gesellschaft und ihre Institutionen Zug um Zug zu destabilisieren. Dazu gehöre, die Grenzen des Sagbaren auszuweiten, Begriffe aus dem Wortschatz des Radikal-Unmenschlichen in den allgemeinen Sprachgebrauch einsickern zu lassen: „Umvolkung“, „Asyltourismus“, „Schuldkult“ – die Liste wird immer länger. Nächste Maßnahmen der Parteistrategen sind Eingriffe in das Bildungswesen mittels Denunziation und Einschüchterung der Lehrer oder die offene Drohung gegen Kultureinrichtungen mit fataler Wirkung, wie am Dessauer Bauhaus zu besichtigen war.
Die „Wir werden sie jagen“-Drohung des Hundekrawattenträgers gilt nicht nur den Parlamentariern der anderen Parteien im Bundestag, es soll auch die Kulturinstitutionen, ihre Förderung mit öffentlichen Geldern, und so ihre Programme und Spielpläne treffen. Und die öffentlich-rechtlichen Medien würden auch nicht verschont bleiben, wenn AfD-Leute nicht nur in den Gremien sitzen sondern in die Staatskanzleien einziehen sollten, wo sie direkten Zugriff zur Medienpolitik hätten.
Deshalb kommt der „Erklärung der Vielen“ solche Bedeutung zu. Auch die Akademie der Künste hat bereits eindeutig Stellung bezogen. Von Kathrin Röggla, die als Vizepräsidentin der Akademie, zu den Initiatorinnen gehört, las ich das Statement, dass „die Kunst in der kritischen Tradition der Aufklärung steht und nicht in den Dienst der Verherrlichung der eigenen Nation zu nehmen ist, wie rechtsextreme Kräfte es fordern“. Die Akademie hat nicht zuletzt wegen ihrer eigenen Geschichte, der Erinnerung an die ausgeschlossenen und zum Austritt gezwungenen Mitglieder, darunter Käthe Kollwitz, Heinrich Mann, Alfred Döblin, die klare Aufgabe, allen autoritären Versuchungen in der Politik entgegen zu treten.
Die Kolumne erschien am 15.11.2018 in der Berliner Zeitung und in der Frankfurter Rundschau.