Der Warenverkehr auf den Weltmeeren wächst und wächst. Damit steigen aber auch die ökologischen Risiken. Kolumne vom 10.1.2019.
Als ich in der vorigen Woche die Nachricht las, ein Frachtschiff habe vor der niederländischen Küste in schwerer See etwa 270 seiner achtfach übereinander gestapelten Container verloren, erinnerte ich mich an ein Bildmotiv vom Anfang des Jahrzehnts. Ich hatte damals das Foto eines in Schieflage geratenen Schiffes mit umgekippten Containertürmen als Metapher für den hemmungslos globalisierten Kapitalismus benutzt und die Postkarte mit der Schlagzeile AUF GROSSER FAHRT überschrieben.
Inzwischen hat die große Fahrt neue Dimensionen erreicht. Die MSC Zoe, um deren durch Ladungsverlust verursachte Umweltschäden sich seit Tagen freiwillige Helfer an den Küsten des friesischen Wattenmeeres bemühen, ist mit einer Gesamtladung von mehr als 19.000 Norm-Containern längst nicht mehr Rekordhalter unter den Riesenfrachtern. Das Reeder-Rennen geht weiter und sollte bald die 24.000er Grenze erreichen. Koste es was es wolle. Denn die Allianz-Versicherung hat längst die Schadenssummen für den Totalausfall eines solchen Schiffes berechnet. Sie bewegt sich zwischen einer und zwei Milliarden Euro. Kommt ganz darauf an, welcher Warenverlust entstand und welcher Aufwand durch Bergung und begleitende ökologische Katastrophen anfällt.
Die Warnungen eines Hamburger Umweltbündnisses, das sich für den Schutz der Elbe einsetzt, werden lauter: „Das Risiko wächst mit den Schiffen mit!“ Die Reeder argumentieren, mit größeren Schiffen und mehr Transportkapazität würde sich der Treibstoffverbrauch pro Container verringern. Und bei sinkenden Frachtraten infolge der Überkapazitäten ließen sich doch gerade mit dem Einsatz von Riesenschiffen die Kosten pro Einheit weiter senken. Die Probleme werden so an die Häfen und Anrainer weitergegeben. Sie sollen für die Vertiefungen der Fahrrinnen, den Ausbau der Ladebrücken und für eine immer aufwändigere Transportlogistik mit Straßen- und Schienenausbau sorgen, um die Container schnell weiterbewegen zu können. Wer die ohnehin ständig wachsenden LKW-Schlangen auf den Autobahnen als Indiz für einen finalen Verkehrskollaps sieht, gehört sowieso zu den Spielverderbern des real existierenden Kapitalismus. Wird all den Forderungen nicht genüge getan, dann haben die Häfen und die Kommunen mit einem Wettbewerbsnachteil zu leben. Und sie sollen außerdem die Umweltschützer im Zaum halten, die nicht nur gegen die Forderung nach größeren Fahrrinnen und befestigten Hafenzugängen statt Erhalt natürlicher Uferzonen protestieren sondern auch noch den weltweit hohen Anteil der Schifffahrt an der CO2-Belastung durch die Verbrennung von Schweröl mit mehr als 3,5% Schwefelanteil anklagen.
Man muss zugestehen, dass sich gerade die Reederei MSC (ansässig in der Schweiz, die „Zoe“ freilich steuergünstig zugelassen in Panama) durchaus respektable Ziele für die Senkung des Schwefelgehalts und die Verringerung der Emission von Treibhausgasen gesetzt hat. Aber die Öffentlichkeit wird aufmerksam verfolgen, ob sich diese Firma angemessen an der Räumung der ökologisch sensiblen friesischen Strände von Styropor und anderem Plastikmüll beteiligen wird oder ob sie die wahrscheinlich langwierige Beseitigung der angespülten Containerinhalte den Inselbewohnern und freiwilligen Helfern vom Festland überlassen wird. Den technologischen Fortschritt und das grenzenlose Wachstum der Megaschiffe zu preisen, ist nur die eine Seite der Medaille. Die andere heißt Vernunft, Verantwortung und Risikomanagement.
Die Kolumne erschien am 10.1.2019 in der Berliner Zeitung und in der Frankfurter Rundschau.