Kolumne vom 7.3.2019
Robert Brunhuber war Asienforscher, Analytiker der Sozialdemokratie und als Vorkämpfer für den Mindestlohn in der Chemieindustrie ein „verkappter Sozialist“. Daneben widmete er sich in seinem kurzen Leben bis zur Ermordung auf einer Reise durch Britisch Burma praktisch und theoretisch dem Journalismus und speziell der Zukunft der Zeitung.
Ihre „Vervielfältigung durch den Druck sei nur eine vorübergehende Erscheinung, die mit dem spezifischen Wesen der Zeitung nichts zu tun hat“, weil auch die „direkte telegrafische Zeitung durchaus denkbar“ sei. „Die Ansicht, dass später andere noch vollkommenere Vervielfältigungsmethoden als der Druck, vielleicht chemische oder physikalische, erfunden sein werden, ist nicht allein erlaubt sondern durchaus wahrscheinlich.“
Ein visionärer Text von 1907, der damals, weit vor der Erfindung elektronischer Medien, recht abseitig wirken musste. Erst Anfang der siebziger Jahre gab es noch vage Vorstellungen von einer „immateriellen, möglicherweise permanenten Anlieferung der Zeitung“. Eine konkrete Ahnung davon, dass das Rascheln des Papiers beim Lesen endlich sein könnte, kam aber erst auf, als das Internet zur technischen Revolution geriet und sich auf Seiten der „alten Medien“ die Verdrängungsängste breit machten.
Wenn ich vor zwei Jahrzehnten im Gespräch mit Schülern der oberen Klassen regelmäßig fragte: „wer von euch liest denn zu Hause noch eine Zeitung?“, dann meldeten sich sich immerhin drei oder vier. Würde heute noch einer den Arm heben? Und wäre die Frage überhaupt noch zeitgemäß?
Der Trend zum Online-Journalismus hat inzwischen alle überlebenden Redaktionen erfaßt. Während noch vor einem Vierteljahrhundert 80% der Medienexperten die Produktion einer Zeitung, die den Adressaten über Datenleitungen erreicht, für unvorstellbar hielten, werden heute bereits Jahreszahlen für den Ausstieg aus dem Papierzeitalter veröffentlicht. Der scheidende TAZ-Geschäftsführer nannte das „Szenario 2022“, da nur noch die Wochenendausgabe auf dem Papier zu lesen sein wird, weil der Kioskverkauf lediglich eine aufwändige Art von Papierrecycling sei. Eine Trendberechnung zu Auflagen- und Verkaufsrückgängen aller regionalen und überregionalen Tageszeitungen benennt 2034 als ultimatives Todesjahr für die letzten gedruckten Blätter.
„Digitalisierung versus Printgeschäft: Das Primat des Kostenmanagements ist für Gedrucktes keine Überlebensstrategie – eher das Gegenteil“, schrieb dieser Tage das (online erscheinende) Branchenmagazin MEEDIA.
Es lauert die Gefahr, dass mit dem Argument des unaufhaltsamen Einbruchs im Anzeigenmarkt und wachsender Aufwendungen für den Vertrieb auf dem Lande die Personaldecke für die journalistische Arbeit noch dünner wird. Schon jetzt leiden vor allem die regionalen Redaktionen unter dem Mangel an Fachleuten für Kommunalpolitik, die noch genügend Zeit für seriöse Recherche aufbringen können. Die Zahl der Bewerber für Volontariate sinkt beträchtlich, weil immer mehr Zeitungen aus der Tarifbindung aussteigen. Nur noch kurze, befristete Verträge und unsichere Arbeitszeiten sind nicht gerade fördernd für die Lebensplanung junger Journalisten.
Dabei ist mit einer Alternative im Sinne öffentlich-rechtlicher Zeitungen nicht zu rechnen, wenn wir sehen, wie dieses Modell für Rundfunk und Fernsehen derzeit in Frage gestellt wird. Es bleibt aber die Aufgabe, unabhängigen Journalismus als existentiellen Bestandteil unserer Demokratie zu bewahren. Und bitte: so lange wie möglich auch auf Papier.
Die Kolumne erschien am 7.3.2019 in der Berliner Zeitung und in der Frankfurter Rundschau.