Gespräch mit dem Satiriker und Juristen Klaus Staeck über die Freiheit der Kunst, die er immer wieder verteidigen muss.
Rhein-Neckar-Zeitung, 23.5.2019
Von Volker Oesterreich
Heidelberg. Was darf die Kunst, was darf sie möglicherweise nicht? Dass man mit gezielten Provokationen viel erreichen kann, ist unter Künstlern unstrittig. Immer wieder sogen Filme oder Theaterinszenierungen, Bücher, Plakate oder Ausstellungen für handfeste Skandale. Erinnert sei beispielsweise an Jan Böhmermanns weit unter die Gürtellinie zielendes Schmähgedicht über den türkischen Staatspräsidenten Erdogan. Die Emotionen wogten hoch, es hatte diplomatische, politische und juristische Folgen. Sogar die Bundeskanzlerin schaltete sich ein. In Fällen wie diesen spielt die durch das Grundgesetz geschützte Freiheit der Kunst eine zentrale Rolle. Experte dafür ist der Heidelberger Plakatkünstler und ehemalige Berliner Akademie-Präsident Klaus Staeck. Er ist Jurist und musste um seine Plakate schon oft vor Gericht kämpfen.
Herr Staeck, haben Sie sich in Ihren Prozessen auf Artikel 5, Absatz 3 des Grundgesetzes berufen?
Selbstverständlich. Die Fälle waren aber ganz unterschiedlich gelagert, ganz selten musste ich mich direkt auf die Kunstfreiheit berufen, denn das, was ich mache, müssen andere Bürger auch machen können. Ich will für mich nicht das Künstlerprivileg beanspruchen. Ich habe nachgezählt: Insgesamt 41 Mal ist versucht worden, meine Arbeiten juristisch aus dem Verkehr zu ziehen. Ich habe alle Prozesse gewonnen. Die Kunst ist frei, und daraus leite ich meinen Satirebegriff ab: Sie verteidigt die unverschuldet Schwachen gegen den Übermut der Starken. Zugleich sollte die Satire immer auch zu Erkenntnisgewinn führen.
Was war Ihr spektakulärster Fall? Als der CDU-Politiker Philipp Jenninger 1976 Ihre Plakate von der Wand der Parlamentarischen Gesellschaft in Bonn riss?
PR-mäßig war das ein Glücksfall. Es gab 1500 Presseberichte weltweit – von der „New York Times“ bis zur „Prawda“. Diese Abreißaktion wurde als kulturpolitische Wende in Deutschland begriffen. Jenninger hat nach seinem „Bildersturm“ – wenn auch erst nach einem Versäumnisurteil – ganz brav die beiden Plakate bezahlt: jeweils fünf Mark.
Und die spektakulärsten Fälle gegen Ihre Kunst?
Es ging immer um gigantische Streitwerte, um mich abzuschrecken. Der Waffenexporteur Rheinmetall hat mich lange Jahre in Atem gehalten. Auf meinem Plakat „Alle reden vom Frieden – wir nicht“ zeige ich fünf Vorstände des Konzerns. Alle fünf Personen haben gegen mich geklagt – und dann noch der Konzern selbst, zusammen sechs Verfahren. Sie gingen durch fast alle Instanzen. Die Firma ist immer wieder wegen ihrer Waffenexporte im Gespräch, auch jetzt wieder. Sie haben die Produktion teilweise nach Südafrika verlegt, weil dort die Restriktionen geringer sind. Während der Prozesse habe ich mich nie einschüchtern lassen, sondern den Anwälten des Konzerns signalisiert: „Ich gebe nie auf!“. Damals wurde darüber ausführlich berichtet: Goliath Rheinmetall klagt gegen David Staeck. Es war denen natürlich unangenehm, immer wieder Negativschlagzeilen zu bekommen. Von einem auf den anderen Tag haben sie alles zurückgezogen.
Welche Verfahren sorgten noch für Aufsehen?
Der Versuch der Heidelberger CDU, gegen mein Plakat „Die Reichen müssen noch reicher werden – deshalb CDU“ vorzugehen. Dann der Fall Höchst AG und Kali-Chemie. Beide wollten mein Plakat „Alle reden vom Klima – wir ruinieren es“ verhindern. Als viertes Beispiel nenne ich den „Grünen Punkt“ der Müllentsorgung, den ich „den größten Schwindel seit der Farbe Grün“ genannt hatte. Der Streitwert lag bei 100.000 Mark. Wie gesagt: Jeder Fall war anders und wurde an anderen Orten geführt. Am Karlsruher ZKM entsteht übrigens gerade eine Doktorarbeit über meine Prozesse.
Sie waren drei Amtsperioden und damit neun Jahre lang Präsident der Berliner Akademie der Künste. Ging es auch dort um die Freiheit der Kunst?
Ständig. Man könnte den Artikel 5 des Grundgesetzes als Leuchtschrift an der Fassade der Akademie anbringen – immer verknüpft mit der Meinungsfreiheit, zu der die Freiheit der Kunst gehört.
Wie schätzen Sie im Nachhinein den Fall Böhmermann und sein Schmähgedicht gegen den türkischen Staatspräsidenten Erdogan ein?
Am Tag nach der Ausstrahlung des Schmähgedichts stand ich elf Mal vor Mikrofonen, um Böhmermanns Aktion zu kommentieren. Was er gesagt hat, muss man sagen dürfen – so meine damaligen Statements. Gleichzeitig war für mich aber die Gürtellinie immer die Grenze, die habe ich nie überschritten. Bezogen auf Böhmermann gab es auch das Argument: Der Zweck heiligt die Mittel. Auf einmal wurde ganz intensiv über Erdogans Politik diskutiert. Das hat er mit seinem Schmähgedicht ohne jeden Zweifel erreicht.
Das Jahr 1949 steht für viele Neuanfänge, nicht nur durch die Verabschiedung des Grundgesetzes. Die Bundesrepublik wurde gegründet, auch die DDR. Sie waren elf Jahre alt und lebten in Bitterfeld. Haben Sie noch vage persönliche Erinnerungen an diese Zeit der Neuanfänge?
Was im Westen vorging, bekam ich als Kind in der DDR natürlich nicht genau mit, obwohl unser Vater 1949 in den Westen ging. Als ich dann 1956 mit 18 in die Bundesrepublik geflüchtet bin, habe ich – ganz altmodisch gesagt – die Bundesrepublik schätzen gelernt. Nur wer die Unfreiheit kennengelernt hat, lernt die Freiheit ganz anders schätzen.
Ist der Artikel 5, Absatz 3 des Grundgesetzes perfekt formuliert, oder bedürfte es einer Ergänzung – gerade im Hinblick auf die digitalen Umwälzungen?
Das Grundgesetz gilt unabhängig von technischen Neuerungen. Das Internet ist für mich Büchse der Pandora und gleichzeitig Kloake. Bei den ganzen Hassmails ist der Gesetzgeber schon gefordert, zumindest den Versuch zu unternehmen, diese Entwicklung einzudämmen.
Das entlarvende Video über die FPÖ – ist das eine Form der Realsatire, die auch durch den Grundgesetz-Artikel 5 geschützt ist?
Realsatire ist der falsche Begriff, das ist investigativer Journalismus. Bei diesem Video geht es um einen Erkenntnisgewinn, denn es ist ein Abgrund in der österreichischen Politik öffentlich geworden. Bei uns wäre dieses Video auf jeden Fall durch den Artikel 5 abgesichert – wegen der Meinungsfreiheit. An ihr misst man, ob ein Staat eine Demokratie ist oder eine Diktatur. Oder ob er auf dem Wege ist, eine Diktatur zu werden. Warnzeichen gibt es überall: in der Türkei, in Ungarn, in Österreich, in den USA, bei der AfD, von der die „Lügenpresse“ als Kampfbegriff benutzt wird. Diese Leute sitzen schon in den Rundfunkräten. Ich kann nur sagen: Leute, geht wählen! Diese Wahl entscheidet, ob wir unser freiheitliches Europa behalten oder nicht.
Artikel in der Rhein-Neckar-Zeitung