Kolumne vom 25. Juli 2019
Am Sparkassenschalter einen Geldschein aus der Hand einer freundlichen Angestellten zu empfangen – gibt es das überhaupt noch? Wer Glück hat wird – sofern Personal sichtbar anwesend ist – an einen Automaten begleitet, wo die Kundschaft 80+ das kleine Einmaleins der Bedienung erklärt bekommt.
Aber immer häufiger lese ich die Nachrichten von der ungewissen Zukunft der Scheine und Münzen. Das bargeldlose Zeitalter ist wohl unabwendbar und seit einigen Wochen kennt sogar die Parallelwelt der „Kryptowährungen“ jenseits von Bitcoin einen neuen Begriff: Libra. Das klingt irgendwie entfernt nach Freiheit. Fragt sich nur für wen, wenn ich mir die Liste der bislang 28 Gründer einer in Genf ansässigen Libra Association ansehe: der Fahrdienst Uber, der Schrecken der ehrlichen Taxifahrer, Internetmarktplatz ebay, dessen Segnungen so manchen alteingesessenen Händler um die Existenz gebracht haben, Mastercard und Visa, die als seriöse Partner erscheinen, assistiert vom Online-Zahlungsdient Paypal. Nicht zu vergessen: Facebook: dessen 2,4 Milliarden potentielle Nutzer aus der neuen Digitalwährung ein globales Banksystem entstehen lassen sollen. Mark Zuckerberg hat eigens dafür die Tochtergesellschaft Calibra gründen lassen, damit auch Menschen, die über kein Bankkonto verfügen, weltweit Zahlungen ohne Überweisungsgebühren vornehmen können. Der Versand der Währung Libra funktioniere über jedes Smartphone und sei mit so gut wie keinen Kosten verbunden so einfach wie der Versand einer Textnachricht. Schöne neue Libra-Welt. Fragt man danach, wie Facebook, bekannt für seinen lockeren Umgang mit der Weitergabe persönlicher Daten, die die Nutzer freiwillig und großzügig zur Verfügung stellen, als Finanzdienstleiter mit dem Datenschutz seiner Kunden verfahren wird, bekommt man natürlich nur die besten Absichten übermittelt. Auf die Nachfrage, ob erworbene Libra wieder in eingezahlte Dollar, Euro oder andere Währungen aus aller Welt garantiert zurückerstattet werden („einklagbarer Rückzahlungsanspruch“) gab es bisher keine verbindlichen Antworten. Da aber der Wert der Libra an klassische Währungen gekoppelt ist, suggeriert sie zumindest eine gewisse Stabilität. Staatsanleihen und Bankeneinlagen, die beteiligte Unternehmen in der Schweizer Zentrale hinterlegen müssen, dienen als Sicherheit. Das ganze scheint wohlüberlegt kalkuliert zu sein. Milliarden Nutzer müssen nur noch überzeugt werden, Facebook und Co bis zum Start im nächsten Jahr ihr volles Vertrauen und mit ganzer Hingabe all ihre Daten zu schenken. Dazu zählt Kaufverhalten, Affinität für Werbung, sozialer Status, bevorzugte Haustiere und was man sich so vorstellen kann, um ein umfassendes Kundenprofil der Weltbevölkerung anzulegen. Jetzt kommen auch noch hunderte Millionen Passfotos hinzu, die Facebookfreunde über die beliebte neue FaceApp bereitwillig abliefern, damit sie auf zentralen Servern gespeichert werden können. Zur Belohnung bekommt man sein Konterfei bearbeitet zurück, und kann sich daran freuen oder erschrecken, wie man in 20 Jahren aussieht.
Orwell und Huxley sind postum nicht zu beneiden – so weit konnten ihre Prophezeiungen nicht reichen.
Doch die Libra-Erfinder sollten ihre Gegner nicht unterschätzen. Twitter-Donald droht mit massiver Bankenregulierung, denn es gebe in den USA nur den Dollar, und das sei die dominierende Währung in der Welt. Warnende Töne kommen auch von der Zentralbank Federal Reserve. Wird das die neuen Digital-Kapitalisten sonderlich beeindrucken?
Die Kolumne erschien am 25. Juli in der Frankfurter Rundschau und in der Berliner Zeitung.