Erinnerungen an Peter Rühmkorf. Warum sein Aufruf zur Demokratie bis heute wichtig ist
Kolumne vom 19.09.2019
Auf diese Ausstellung im Hamburger Altonaer Museum habe ich mich gefreut: Peter Rühmkorf zum Neunzigsten. Schon der Titel „Lass leuchten!“ – entlehnt einem seiner Gedichte – weckt Erwartungen. Kompliment für die Ausstellungsmacher. Denn es ist nicht einfach, das Werken und Wirken eines Dichters wie Rühmkorf in einer Ausstellung so einzufangen, dass die Neugierde nicht in der Masse des zelebrierten Materials ertrinkt. Stunden, wenn nicht Tage könnte man in den verschiedenen Räumen mit heruntergedimmter Beleuchtung verbringen.
In den Medien wurde die Ausstellung, was nicht selbstverständlich ist, gebührend gewürdigt. Eher beiläufig im Spiegel, geradezu euphorisch und üppig in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung unter der hübschen Überschrift „Der Wortschnuppenfänger“. Geradezu schwelgerisch wird vor allem der Lyriker P. M., den seine Freunde gerne Lüngi nannten, gewürdigt und gefeiert.
Doch wie oft bei Verehrern zu beobachten: Manches wird gern ausgeblendet. Was mir in der langen Besprechung fehlt, ist der andere Rühmkorf, der politisch wache Staatsbürger, der citoyen engagé, der sich nicht scheute, den Mund weit aufzumachen, wenn es darum ging, „mehr Demokratie zu wagen“. Die Ausstellung versteckt diesen Streiter gegen alles Miese und Fiese nicht etwa. So zu sehen an einer ganzen Wand mit den verschiedensten Plakaten und Flugblättern aus kämpferischen Tagen. Darunter auch zwei Poster, die an die Aktion „Wir arbeiten nicht für Springer-Zeitungen“ in den frühen 80er-Jahren erinnern. Wir haben diese Kampagne, die sich im Wesentlichen gegen die Bild-Zeitung richtete, zusammen mit Günter Grass, Heinrich Böll und Günter Wallraff, für notwendig gehalten, weil vor allem die Blätter aus dem Hause Springer im politischen Meinungskampf eine zerstörerische Kraft entwickelten, der wir etwas entgegensetzen wollten. Immerhin zitiert der FAZ-Autor Rühmkorfs Credo: „Bleib erschütterbar – und widersteh“. Darum ging es damals und geht es heute. In einer Zeit, in der die Demokratie in diesem unseren Lande wieder einmal gefährdet erscheint, verwende ich oft das Zitat, um das Gefahrenbewusstsein zu stärken.
Denn Rühmkorf war auch der öffentliche Poet, den es immer wieder ins Offene zog. Daran erinnert eine Postkarte: der Dichter bei einer Lesung vor dem Mikrofon im legendären Hamburger St. Pauli-Stadion. Er wollte die Welt mit Poesie besser machen.
Mir fehlen seine Zwischenrufe. Weil er seinen Namen unter einem Aufruf der Aktion für mehr Demokratie im März 1999 nicht fand, schrieb er mir: „Du bist doch im Besitz der doppelten Unterschriftenlizenz, also, warum steh ich nicht schon drunter?“
Im Oktober 1993 bekam ich per Post einen „Gruß an Staecken! Um den alten Recken mitzuzocken, aufzuwecken – Lieber Freund, komm wieder in die Socken. Nur gemeinsam läßt sich was verrücken / hoch die Backen,/ steif den Rücken,/ gib den schlechten Rechten/ ordentlich zu schlucken!“ Peter und Eva Rühmkorf können im Kampf gegen die vermeintliche Alternative für Deutschland nicht mehr dabei sein, aber seine Texte und vor allem die Gedichte bleiben eine schier unerschöpfliche Kraftquelle.
Dass Rühmkorf durchaus von dieser Welt war, belegt ein Satz auf einer anderen Postkarte, die ich im Museumsshop erworben habe: „Zu wahr, um schön zu sein: auch der Feingeist muss fressen.“
Die Kolumne erschien am 19. September 2019 in der Berliner Zeitung und in der Frankfurter Rundschau.