Auch die größten Optimisten haben erkannt, dass im Internet nicht nur Chancen lauern, sondern auch viele Gefahren. Das macht Mut für den Kampf gegen rechts.
Kolumne vom 31.10.2019
Wenn man beim Nachdenken über die nächste Kolumne („Hass im Netz“) zufällig das letzte „Wort zum Sonntag“ hört, das sich dem gleichen Thema widmet, nebenbei ein Interview liest, in dem ein Theatermacher die „rasante Tendenz von Verrohung, Verfall elementarer Umgangsformen und grassierender Verblödung in den sozialen Medien“ (Steffen Mensching) konstatiert – dann muss es sich wohl um ein akutes gesellschaftliches Phänomen handeln.
Immerhin, es bewegt sich etwas im kritischen Umgang mit der anschwellenden Flut einer sich im Internet immer radikaler und inhumaner artikulierenden Meute. Der Netzaktivist Sascha Lobo hat mit dem Workshop „Radikalisiert“ gerade erst im ZDF-Spartensender ONE einen Sendeplatz erhalten, der zwar spätabends läuft, doch über Mediathek und YouTube jederzeit erreichbar ist.
Vorgestellt wurden in dieser Sendung Aktivisten, die rechte Influenzer im Netz aufspüren und auch die bisher einzige bundesweite Meldestelle gegen Hass und Hetze „respect!“, die Tag für Tag strafrechtlich relevante Fälle bei der Polizei anzeigt. Wahrlich eine Sisyphusarbeit, die das Demokratiezentrum Baden-Württemberg da leistet. Denn das anonyme Auftreten von Rassisten und Rufmördern sowie das schier undurchdringliche Darknet, der Tummelplatz einer gewaltverherrlichenden Guerilla, scheint mit juristischen Mitteln kaum bezwingbar zu sein.
Immer öfter erfahren wir von Mordaufrufen, mit denen Bürgermeister und Politiker bedroht werden, von Rassismus und Judenhass, einer Stimmung, wie sie noch vor wenigen Jahren in dieser Republik nicht vorstellbar war. Diese Radikalisierung müssen wir mittlerweile als die größte Bedrohung unserer liberalen Demokratie wahrnehmen. Denn nicht erst seit den letzten Attentaten weiß jeder, dass es nicht bei Worten und Gewaltphantasien bleiben muss.
Die Betreiber der Internet-Plattformen sind immer noch zu zögernd im Umgang mit ihren gemeingefährlichen Nutzern. Der Druck aus der Gesellschaft wird jedoch größer werden, der die Verwalter von Facebook, Instagram, YouTube etc. dazu zwingen wird, ihre Geschäftsbedingungen auch dem Missbrauch zum Radikalismus anzupassen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Künstlicher Intelligenz und immer gezielter agierenden Algorithmen der Wortschatz der Hassprediger verborgen bleibt.
Auch wenn frühe Warnungen vor den Problemen einer ungeprüften Informationsverbreitung, nicht moderierter und jegliche Etikette ignorierender Kommentarflut lange kaum Beachtung fanden, weil der freie Austausch der Meinungen als höchstes Gut der sozialen Medien gepriesen wurde, so sind wir doch nun hoffentlich etwas klüger geworden.
Denn die demokratische Meinungsbildung und -verbreitung bedarf der Verantwortung aller Akteure. Wo diese fehlt, haben Radikale, Leute mit Gewaltphantasien und Hass-Agitatoren ein leichtes Spiel. Internetaktivisten wie Sascha Lobo sei Dank, dass sie ihren einst grenzenlosen Optimismus für die „Freiheit im Netz“ nun selbst auf die Probe stellen, angesichts des Missbrauchs demokratiefeindlicher Kräfte Aufklärung betreiben und im alten Medium Fernsehen wie im Internet Zuschauer und User mobilisieren.
Höchste Zeit, den Extremisten im Internet den Kampf anzusagen, statt nur auf die Selbstreinigungskräfte der Schwarmintelligenz zu vertrauen.
Die Kolumne erschien in der Berliner Zeitung und in der Frankfurter Rundschau (unter dem Titel „Hass im Internet: Klüger werden mit Sascha Lobo“)