Das Einsickern faschistischer Slogans und Ideen in die Gesellschaft muss gestoppt werden. Sonst übernehmen jene die Macht, die ein anderes Land wollen. Kolumne vom 27. 06. 2024
Es gibt schleichende Entwicklungen, die man wahrnimmt und zugleich den Impuls verspürt, sich bloß nicht zu sehr davon beeindrucken zu lassen. Es wird schon nicht so schlimm kommen.
Aber die Schutzschicht unserer Selbstgewißheit wird dünner und an manchen Stellen bricht sie auf. Wir beginnen, uns mit Wahlergebnissen abzufinden, die eine rechtsradikale Partei demnächst auf Landesebene siegen lassen könnte – die letzte Hoffnung heißt Brandmauer. Doch wenn diese fällt, wird auf die Freiwillige Feuerwehr kein Verlaß mehr sein, weil auch ihre Mitglieder das normale Wahlvolk abbilden.
Am letzten Wochenende wurde in Hamburg und in Berlin ein Staatsgast zunächst mit einer Hayek-Medaille für rechtsliberale Marktlogik geehrt und dann im Bundeskanzleramt empfangen. Der Präsident Argentiniens ist ein Trump-Verehrer, er bezeichnet das Parlament im eigenen Land als Rattennest, bekennt sich zu „staatlicher Grausamkeit im Sinne der Freiheit“, die Kettensäge war das Markenzeichen seines Wahlkampfs.
Dieser Tage ist in aktualisierter deutscher Ausgabe ein Buch erschienen, das Jason Stanley, Philosophieprofessor an der Yale University, nicht ganz zufällig zum ersten Amtsantritt Trumps erscheinen ließ: „Wie Faschismus funktioniert“ *. Seine in Berlin lehrende Kollegin Rahel Jaeggi nennt es in ihrem Vorwort eine „Handreichung zur Früherkennung“, um sich dem Sog der Normalisierung des faschistischen Mythos zu entziehen. Es gelte der eigenen Abwehrhaltung, die den Warnruf vor dem Faschismus für übertrieben hält zu mißtrauen.
Wir erleben doch, wie Spuren von antidemokratischem und zuweilen menschenfeindlichem Verhalten in den Alltag eindringen, wie sich das einst Unsagbare in plötzlich Sagbares verwandelt. Außer Kontrolle befindliche „soziale“ Medien haben das ihrige dafür getan.
Jaeggi wie auch der Autor gehen nicht alarmistisch vor. Nicht der Faschismus droht als Wiederkehr – es geht um dessen Taktiken und ebensolches Denken. Stanley hat eine außerordentlich gründliche und auch tief in die US-Geschichte des Rassismus und der Gewaltverherrlichung eindringende Analyse vorgelegt. Den Faschismus definiert er als Ultranationalismus, der mit hohem Propagandaaufwand die ethnische, religiöse und kulturelle Überlegenheit gegenüber „den anderen“ verbreitet. Die Nation wird durch einen autoritären Anführer vertreten. Faschistische Politik und Taktik dient als Instrument zur Mehrung von Einfluß und Macht.
Es bedarf nicht eines Militärputsches. So wie in Deutschland nach einem Wahlsieg der NSDAP die Politik der Gleichschaltung und allmählichen Nazifizierung die ganze Gesellschaft in den Abgrund zog, der als Siegeszug gefeiert wurde, seien auch heute ähnliche Prozesse in einigen der größten Demokratien vorstellbar. Stanley beschreibt – und wir können es in Italien, Ungarn, möglicherweise auch demnächst in Frankreich verfolgen – wie überall auf der Welt rechtsextreme Bewegungen auf dem Vormarsch sind. Demagogische Anführer folgen ultranationalistischen Konzepten und setzen diese – wo sie nicht genug Gegenwehr erfahren – auch um. Dieses lesenswerte Buch ist als Appell geschrieben: verweigert euch, den Betörungen durch faschistische Mythen zu folgen! Schützt die Demokratie vor jenen, die sie zum Machtantritt nutzen wollen, nur um sie am Ende zu zerstören.
Die Kolumne erschien am 27.06.2024 unter dem Titel „Schützt die Demokratie vor faschistischen Ideen!“ in der FRANKFURTER RUNDSCHAU.
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* Jason Stanley „Wie Faschismus funktioniert“ (Originaltitel: „How fascism works: the politics of us and them.“) Penguin Random House NY, 2018
deutsche Taschenbuchausgabe 1. Auflage 2024 Westend Verlag, Neu-Isenburg, mit einem aktualisierten Vorwort des Autors zur deutschen Taschenbuchausgabe und einem Prolog von Rahel Jaeggi; ISBN 978-3-86489-443-5, 22 Euro
Leider wird mitten aus unserem demokratischen Nachbarland mein „Mißtrauen gegenüber den Verkündern apokalyptischer Aussichten“ durch Drohungen wie „Bürgerkrieg in Frankreich“ aus dem Palast des Präsidenten nicht weniger…
Es scheint schon so, dass Demokratien, wie andere Lebensmittel auch, stark gefährdet sind, sich selbst und von innen zu zersetzen und gar nicht auf Trump, Orban und LePen warten müssen…
Kanzler*innenschaften die 16 Jahre „funktionieren“ und gleichzeitig „ewiges Lamentieren“ über Politikverdrossenheit (ohne dabei wirklich Veränderungen zuzulassen) oder Paradiktaturen (wie in Bayern) lassen auch den Schluss zu, dass die Mehrheiten (zu denen man als aufrechter Demokrat ja gar nicht mehr gehören mag) „es“ halt so wollen…
Vielleicht nach dem Motto: „Ihr habt zwar Recht, aber die Mehreren sind wir.“?
Das ist eine Verharmlosung des Faschismus.
Faschismus schleicht sich nicht an die Macht, Faschismus ist die gewaltsame, blutige Vernichtung jeder Form von organisierter Arbeiterbewegung mithilfe des wildgewordenen Kleinbürgertums. Das ist kein Militärputsch, sondern eine viel breitere, totale und eben damit totalitäre Bewegung.
Das kann man in der Geschichte von Italien und Deutschland deutlich erkennen. Und eine solche faschistische Massenbewegung gibt es derzeit nicht.