Kolumne vom 6. Februar 2025
Wenn Zehntausende im ganzen Land seit Tagen auf die Straße gehen, weil sie dem CDU-Kanzlerkandidaten den Wortbruch nicht durchgehen lassen, dann müßten doch in den Parteizentralen die Warnsirenen aufheulen. Das ist offenbar nicht der Fall.
Die engsten Merz-Berater Linnemann und Spahn zeigen sich unbeirrt, dass der Vorsprung bis zum Wahltag reicht. Selbst der Preis, die Reputation der traditionsreichen konservativen Partei könnte beispiellosen Schaden nehmen, läßt kein Umdenken erkennen. Die vor lauter Glück feixenden AfD-Bundestagsabgeordneten haben sich bereits in unser Bildgedächtnis eingebrannt. Und in Brandenburg hat die aussichtsreiche CDU-Kandidatin Saskia Ludwig kein Problem damit, eine Mitte-Rechts-Regierung zu legitimieren, weil sie eine Brandmauer „für zutiefst undemokratisch“ hält.
Zieht so langsam schleichend auch bei uns eine Normalität ein, die mit autoritären und rechtsradikalen Strömungen in anderen europäischen Staaten vergleichbar ist?
Ich werde mich keinesfalls einem Fatalismus der Unvermeidbarkeit hingeben, nicht zuletzt weil ich fast sechzig Jahre meines Lebens einer Partei angehöre, die unter allen Umständen für eine starke und handlungsfähige Demokratie kämpft und diese verteidigen wird. Gut zu wissen, dass mit Angela Merkel, Michel Friedman und den Stimmen-Verweigerern im Bundestag am letzten Freitag bislang noch die Hoffnung auf eine verantwortungsethische Gegenkraft existiert.
Deshalb gibt es – so meine ich – noch keinen Grund, auf Plakate zu schreiben, es sei „5 Minuten vor 33“. Wir sollten größte Vorsicht mit historischen Vergleichen walten lassen, um der Gefahr des Banalisierens zu entgehen. Christopher Clark, dessen Buch „Die Schlafwandler“ über die Vorgeschichte des 1. Weltkrieges seit seinem Erscheinen in aller Munde ist, weil es die scheinbare Zwangsläufigkeit auf dem Weg in die Katastrophe beschreibt, mahnt uns: um unsere Gegenwart zu verstehen sollten wir uns an der Geschichte orientieren, „wir brauchen historische Analogien aber müssen die Regeln beachten und keine einfachen 1:1 Vergleiche ziehen.“
Gerade in einer Zeit des Umbruchs globaler Ordnungen, sich verschiebender Einflusssphären und Machtverhältnisse spüren wir, dass vergangene Kriesen scheinbar abgeschlossener Epochen in unsere Nähe rücken.
Doch das Vermächtnis all jener, die ihr Leben im Kampf gegen Diktaturen gelassen haben, die gegen menschenfeindliche Systeme kämpften, muss als Verpflichtung bewahrt werden.
Rechtsradikalismus und Neofaschismus sind erkennbar, zumal sie offen mit Name und Adresse nicht zuletzt in den „Sozialen Medien“ erscheinen, wo sie ihre „Follower“ rekrutieren. Seit der weltweit reichste Milliardär aus Begeisterung für Trump nicht nur den rechten Arm ausstreckt sondern sich auch zum obersten Wahlkampfhelfer der AfD ernannt hat und die Straßenlaternen bundesweit blau plakatiert sind, wissen wir, dass da eine nicht unbedeutende Bewegung an die Macht kommen will.
In den ersten Februartagen 1933 erließ Hindenburg die Notverordnung „zum Schutze des Deutschen Volkes“ und setzte die Grundrechte der Versammlungs- und Pressefreiheit außer Kraft. Von Schleicher und Papen noch vor Hitlers Machtantritt vorbereitet, wurde der Weimarer Republik der Todesstoß versetzt. Bevor im Juli alle Parteien außer der NSDAP verboten wurden, hatte der Naziterror bereits eingesetzt. Dessen Vorbereitung lief vor aller Augen. Wir sind gewarnt – aber nicht machtlos und sollten uns nicht von historischen Vereinfachungen in den Bann ziehen lassen.
Die Kolumne erscheint am 5. (online)/6. (print) Februar 2025 in der Frankfurter Rundschau.