120.000 Tabakopfer pro Jahr. Kommentar zur Gesundheitspolitik: Trotz des Verbots für Tabakaußenwerbung vor 15 Jahren ist kaum etwas geschehen.
Kolumne vom 3.5.2018
Für einen Plakatkünstler wie mich müssen schon gewichtige Gründe vorliegen, wenn ich mich diesmal gegen Plakate wende. Genauer gesagt, gegen Werbeplakate der Tabakindustrie. Vor nunmehr 15 Jahren hat sich Deutschland zu einem Übereinkommen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) bekannt, die Tabakaußenwerbung zu verbieten. Geschehen ist seither kaum etwas. Die forcierte Lobbyarbeit der Zigarettenhersteller hat sich ausgezahlt. Weder wurde die Tabaksteuer in den letzten zehn Jahren erhöht, noch bleiben wir von Plakatwänden verschont, die uns im Kleingedruckten zwar auf die todsicheren Gesundheitsschäden des Rauchens hinweisen (müssen), in der übermächtigen Werbebotschaft aber das besondere Lebensgefühl versprechen, das mit der Inhalation krebserregender Stoffe verbunden sein soll.
Für Plakatwerbung wurden 2016 mehr als 80 Millionen Euro ausgegeben, für Sponsoring und Promotion-Veranstaltungen 100 Millionen. Deutschland steht europaweit inzwischen ziemlich allein mit seiner tabakfreundlichen Wirtschaftspolitik, gegen die alle Proteste der Gesundheitslobby ins Leere laufen. Die alte Bundesregierung hat das von der EU längst geforderte Werbeverbot einfach bis zur Wahl aufgeschoben, im neuen Koalitionsvertrag taucht das Thema erst gar nicht auf, obwohl sich Gesundheitspolitiker einig sind, dass angesichts von geschätzten 120.000 Tabakopfern pro Jahr in Deutschland akuter Handlungsbedarf besteht.
Doch aus dem Wirtschaftsministerium kommen weiterhin Argumente, die eher an die Agitation der Klimaleugner erinnern: es bleibe fraglich, ob die gewünschten gesundheitspolitischen Effekte eintreten, wenn strengere Regulierungen angesetzt würden. Von „sachfremden Einschränkungen für Wirtschaft und Handel wie z.B. ein umfassendes Werbeverbot für Tabakprodukte werde Abstand genommen“, hieß es vor wenigen Jahren noch in einem Arbeitspapier, das Whistleblower öffentlich gemacht haben. Die WHO setzt deshalb auf Werbeverbote, weil die psychologisch geschickte Infiltration vor allem auf junge Leute wirkt.
Doch nun kommt plötzlich die irritierende Botschaft aus dem Hause Philip Morris, man werde sich künftig für eine rauchfreie Zukunft einsetzen. Ausgerechnet die jahrzehntelang omnipräsente Tabakfirma flüchtet von der Raucherinsel? Man will es nicht glauben und wird bald in seinen Zweifeln bestätigt, denn es ist nur ein Aufbruch zu neuen Marketing-Ufern. Angesichts eines stetig sinkenden Zigarettenkonsums setzt Philip Morris künftig aufs elektrische Verdampfen von Tabak. Angeblich hat die Firma bereits drei Milliarden Euro in die Forschung gesteckt. In Dresden soll die erste deutsche Hightech-Fabrik für den elektronischen Tabakerhitzer IQOS entstehen, der ohne Rauch, Feuer und Asche auskommt. 500 neue Arbeitsplätze sind für die regionale Wirtschaftsförderung ein Grund zum Jubeln.
Wer skeptisch bleiben will, und ich gehöre dazu, hält es mit der WHO, die Philip Morris die Glaubwürdigkeit für eine gemeinsame Anti-Raucher-Kampagne abspricht. Denn es handelt sich um ein Produkt mit erheblichem Nikotingehalt und mit dem Suchtpotenzial der klassischen Zigarette, das „höchstwahrscheinlich weniger gesundheitsschädlich ist als herkömmliche Produkte“, sagt die Firma selbst. Mehr demnächst auf Großplakaten.
Die Kolumne erschien zeitgleich in der Berliner Zeitung und unter dem Titel „Rauchend für eine rauchfreie Zukunft“ in der Frankfurter Rundschau.