Ein pensionierter Arzt stellt die Grenzwerte für Schadstoffe infrage, ein Aufschrei ist die Folge. Experten widersprechen, aber fast niemand hört ihnen zu. Kolumne vom 21.2.2019
„Dicke Luft in der Stadt“ so hieß ein Schüler-Malwettbewerb, den die Berliner Akademie der Künste mit der Charité vor kurzem initiiert hatte. An dem Preisausschreiben beteiligten sich 18 Berliner Schulen mit fantasievollen Beiträgen. Der auf den ersten Blick unspektakulärste, aber für mich überzeugendste war die lakonische Beschreibung einer Alltagssituation.
An einer vielbefahrenen Straße in Berlin-Kreuzberg hatten zwei Schüler während eines ganz normalen Vormittags am Straßenrand ihre private „Messstation“ eingerichtet. Dabei machten sie eine Strichliste aller vorbeifahrenden Autos, ergänzt um die Zahl der jeweiligen Insassen. In so gut wie allen Fahrzeugen beobachteten sie nur eine Person – in wenigen Fällen waren es zwei. Für diese eingereichte Studie bekamen sie einen Sonderpreis. Überflüssig zu erwähnen, dass von dem Pressegespräch mit den Vertretern von Charité, Akademie und zahlreichen Schülern die Öffentlichkeit so gut wie nichts erfuhr.
Diese demonstrative Nichtbeachtung ist für mich nur ein Beleg, dass in der aufgeheizten Debatte um Grenzwerte und den Schadstoffgehalt der Luft der Rolle der Medien viel zu wenig Beachtung geschenkt wird.
Was gab es für einen medialen Aufschrei, als der pensionierte Pneumologe Dieter Köhler in einem Aufruf, mitunterzeichnet von 107 Lungenärzten, die allgemeine „Dieselhysterie“ geißelte. Freudig begrüßt wurden diese Behauptungen, die allen bisherigen internationalen Analysen Hohn sprechen, von unserem Verkehrsminister Andreas Scheuer. Das ist übrigens der Politiker, der die Debatte um ein Tempolimit auf Autobahnen mit den Worten „gegen den Menschenverstand“ einstuft.
Pech für den Verkehrsminister und die anderen frohlockenden Grenzwertjongleure, dass auf eine Intervention der „Tageszeitung“ hin besagter Dieter Köhler einen Rechenfehler in der Benzinmädchenrechnung einräumen musste. Vielleicht kann er wieder in einer Talkshow einem breiten Publikum erläutern, wie es zu diesem Irrtum kam.
Zurück zur Rolle der Medien. Kurz nach Köhlers Attacke vor der versammelten Bundespresse fand am gleichen Ort eine weitere Pressekonferenz statt, deren Teilnehmer – die Bundesumweltministerin, die Präsidentin des Umweltbundesamtes und ein geachteter Professor für Pneumologie der Charité – den Köhler-Thesen auf das Heftigste widersprachen. Darüber hat die Öffentlichkeit – sieht man von einem Einspalter des Berliner „Tagesspiegels“ ab – allerdings leider nichts erfahren.
Das erinnert mich an die Sternfahrt einiger Tausend LKW-Fahrer im September 2000 mit dem Ziel Brandenburger Tor, um „ihrer Wut über die Ökosteuer“ Ausdruck zu verleihen. In einer Bundespressekonferenz wies der Präsident des Güterkraftverkehrs darauf hin, dass „10.000 mittelständische Unternehmen mit 100.000 Arbeitsplätzen in Gefahr“ seien. Sämtliche Titelseiten waren den „Brummis“ gewiss.
Unmittelbar nach den Trucker-Vertretern nahm unsere Initiative „Pro Ökosteuer!“ am selben Konferenztisch Platz, um unsere Argumente vorzutragen. Es blieb jedoch bei dem Versuch. Denn so voll der Saal bei den „Sternfahrern“ war, so leerte er sich gleich danach bei unserem Auftritt.
Auf die ewige Frage nach den Deutschen und ihren Autos können wohl nur Psychologen eine Antwort versuchen. Aber vielleicht treiben es andere in dieser Hinsicht noch viel doller. Im „Handelsblatt“ las ich vor zehn Tagen: „Die großen US-Autobauer eint der Trend zu Spritfressern“.
Die Kolumne erschien am 21. Februar 2019 in der Frankfurter Rundschau und in der Berliner Zeitung.