Die Debatte über den Sender HR2 des Hessischen Rundfunks zeigt: Wir dürfen den Sparern nicht das Feld überlassen. Kolumne vom 5.9.2019.
Eine Sommerpause ist für so manches gut. Man kann sich für einige Wochen Kindern oder Enkeln widmen, an die See oder in die Berge fahren, vielleicht sogar mit der Bahn, um ein klimaneutrales Vorbild abzugeben. Man kann aber auch einfach mal im wahrsten Sinne des Wortes abschalten, ohne dass es groß auffällt. Das dachten sich einige Leute in der Leitungsebene eines traditionsreichen deutschen Rundfunksenders, der seit über 70 Jahren einiges dazu beigetragen hat, zum Beispiel Literatur und Kritik in Hörereignisse zu verwandeln.
In Frankfurt, der Stadt der Buchmesse, einen Sender zu betreiben, der sich explizit dem geschriebenen und gelesenen Wort verpflichtet fühlt, sollte als nichts außergewöhnliches gelten. Nun wissen wir seit einigen Wochen, dass das Selbstverständliche verteidigt werden muss.
Ausgerechnet mit einer Online-Initiative, die schon mehr als siebentausend Unterstützer fand, fordern Hörer des Kultursenders HR2, dass der Wortanteil ihres bevorzugten Senders im nächsten Jahr nicht ins Internet abwandert und die Sprachlosigkeit im analogen Radio durch klassische Musik übertönt werden soll.
Offensichtlich haben Intendant und Hörfunkdirektor unterschätzt, dass ihr Spar-Coup, der nur mühsam als eine Maßnahme im Sinne der Hörerverjüngung getarnt wurde, so nach hinten losgehen würde, dass sie sogar ein „Kommunikationsdefizit“ einräumen mussten. Dieses hat es wohl nicht nur in Richtung der Hörer sondern auch der überrumpelten Beschäftigten gegeben. Sie hatten nur die Auskunft erhalten „wir müssen jünger, digitaler und diverser werden“.
Beunruhigend ist die Signalwirkung
Hoffentlich hat die Sitzung des Rundfunkrates vor gut zwei Wochen den übereifrigen Reformern die Grenzen aufgezeigt, die zur Verteidigung eines gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunks und zur Garantie seines Überlebens respektiert werden müssen.
Ich habe dieses Medium mein ganzes politisches Leben lang verteidigt. Und es gibt bis in den aktuellen Wahlkampf hinein viele Angriffe gegen eine demokratisch verfasste und manchmal mühsam zu legitimierende Rundfunkordnung, die einen Kultur- und Bildungsauftrag erfüllt, die Demokratie schützt, dabei Bedürfnisse und Mitwirkung von Hörern und Zuschauern im Programmauftrag berücksichtigt.
Was mich am aktuellen Beispiel des Hessischen Rundfunks beunruhigt, ist die mögliche Signalwirkung, die vom leisen Verschwinden eines Kultursenders ausgehen kann. Wäre nicht die Öffentlichkeit von der Absicht der Intendanz unterrichtet worden, 100.000 tägliche Hörer einfach abzuschreiben, und hätte sich nicht der Protest von Autoren, Verlegern, Theaterleuten und allen die dieses Radio brauchen und verteidigen wollen, lautstark zu Wort gemeldet, wären wir ein Stück ärmer geworden. Mag sein, dass dieser Umstand die Effizienzfanatiker, die unsere Sprache längst mit den stromlinienförmigen Formulierungen des Marketings geflutet haben, nicht beeindruckt hätte.
Die Schriftstellerin Thea Dorn schrieb: „Man muss Kultursender nicht unter Artenschutz stellen. Man muss aber fragen, wie eine öffentlich-rechtliche Sendeanstalt ernsthaft glauben kann, sich durch die Verabschiedung von einem ihrer markantesten Merkmale ‚zukunftsfähig‘ zu machen.“ Gewiss, so räumt sie ein, seien es schlechte Zeiten für die Anhänger des komplexeren Gedankens und des ausführlicheren Worts. Aber wer sich freiwillig die Flügel stutze habe erst recht keine Chance, aufs Überleben zu hoffen.
Die Kolumne erschien am 5.9.2019 in der Berliner Zeitung und in der Frankfurter Rundschau.