Mit dem Protest gegen die Corona-Politik lässt sich auch Geld machen – auf sehr fragwürdige Weise. Die Kolumne vom 6. Januar 2021.
Geschlossene Kneipen, leere Restaurants mit hochgestellten Stühlen, Imbissbuden, die ihre Kunden auffordern, beim Verzehr einer Currywurst gebührend Abstand zu halten. Seit vielen Wochen versorgen meist unterbezahlte Boten von Lieferdiensten vor allem Stadtbewohner mit mehr oder weniger anspruchsvollem Proviant. Das Spektrum reicht von auf langen Wegen erkalteten Pommes und durchweichten Hamburgern bis zu Menüs der gehobenen Gastronomie, deren Betreiber wie alle pandemiegeschädigten Unternehmen wegen ausbleibender Gäste gegen das Konkursgespenst kämpfen.
Gemessen an der Gefahr, die vom Coronavirus ausgeht, unser Leben noch Monate einschränken kann und alle gesellschaftlichen Beziehungen von der Kultur bis zur Wirtschaft und Politik beeinträchtigt, mag das Problem der Belieferung mit Essen ein randständiges sein. Es zeigt nur, wie radikal sich der Alltag verändert hat und bislang Unvorstellbares zur Norm wird.
Wer in diesen Zeiten politische Verantwortung trägt, ist wahrlich nicht zu beneiden. Der Vorwurf, das Unheil nicht vorausgesehen, gezaudert, beschwichtigt statt vor der Katastrophe gewarnt zu haben, wird in den Medien so oft erhoben wie in einer verblendeten Teilöffentlichkeit das Gegenteil behauptet wird. Man wird den Begriff „Querdenker“ künftig keinem Zeitgenossen mehr verleihen können, dem man lediglich ein sympathisches Außer-der-Reihe-Denken zugute halten möchte.
Das Wort rückt nun Wissenschaftsleugner, Reichsbürger und Rechtslastige, Verschwörungsgläubige und renitent Verdrossene in eine Front gegen Vernunft und Verantwortungsbewusstsein. Von einer Spaltung der Gesellschaft will ich nicht reden, da ist mein Vertrauen in die Kraft einer wehrhaften Demokratie noch zu stark. Aber es ist erschreckend, welches querdenkende Wutbürger-Potenzial ein schwäbischer Unternehmer mit gleichgesinnten Ärzten, Esoterikern und Anwälten in kürzester Zeit wecken und bundesweit auf die Straßen treiben konnte.
Journalisten im Rechercheverbund von netzpolitik.org und schließlich dem ZDF-Magazin Royale ist es zu verdanken, dass sie über Monate dem Weg des Geldes nachgegangen sind, das die Organisatoren der Kundgebungen eingeworben und auf seltsame Konten bewegt haben. IT-Unternehmer Michael Ballweg sieht sich als Querdenken-Gründer in keiner Transparenzpflicht, da er als Privatperson lediglich zu „Schenkungen“ aufgerufen habe, laut Netzpolitik auf ein Privatkonto.
Böhmermann ernannte ihn für die besondere Kreativität der „Querschenken“-Idee zum Corona-Unternehmer des Jahres, zumal Ballweg sich auch noch den Namen der Bewegung mit allen gängigen Postleitzahlen für sein Merchandising-Unternehmen sichern ließ. So klingelt auch bei jedem T-Shirt-Verkauf beim vorjährigen Stuttgarter Kandidaten für die Oberbürgermeister-Wahl die Kasse. Der österreichische Arzt und Coronaleugner Peer Eifler hatte mit seiner Geschäftsidee weniger Glück. Er verkaufte für 30 Euro ohne Ansehen des Patienten Atteste zur Befreiung von der Maskenpflicht. Die Ärztekammer erteilte ihm ein Berufsverbot und die Staatsanwaltschaft ermittelt.
Eifrige Geldsammler sind auch unter anderem Anwälte, die die Webseiten „Das Volk gegen Corona“ betreiben: „Die Spenden werden treuhänderisch in den Niederlanden gesammelt, um dem deutschen Staat eine Blockade zu erschweren.“ Als Schirmherr erscheint Ralf Ludwig, der als Mitbegründer der „Anwälte für Aufklärung“ und der „Klagepaten“ „von Anfang an gegen die Restriktionen unserer Bundes- und Landesregierungen“ kämpft.
Die Kolumne erschien am 06.01.2021 in der Berliner Zeitung und in der Frankfurter Rundschau.