Kolumne vom 24. Mai 2007
Mir geht ein Foto, das Pfingsten durch die Weltpresse ging, nicht aus dem Kopf: blaue See, der weite Ring eines riesigen Thunfischkäfigs, an den sich 27 Afrikaner klammern.
Wenn man mit den Schiffbrüchigen eine Million Dollar verdienen könnte, wer weiß, vielleicht hätte der Kapitän des Trawlers sie doch noch aus dem Mittelmeer gefischt. So viel war nämlich die tierische Fracht wert, die er zusammen mit den Flüchtlingen drei Tage lang vor der maltesischen Küste im Schlepptau hatte. Doch bekanntlich bringen lebende wie tote Migranten statt Geld nur Ärger. So sahen der christliche Seefahrer wie viele vorbei fahrende Schiffscrews dabei zu, wie lange sich die Schwarzen noch am Käfigrand halten würden. Hätten sich die Afrikaner als kostbare Speisefische getarnt, die Wertschätzung der Malteser wäre ihnen sicher gewesen.
Auch deren Regierung schaute zu, ohne sich selbst ein Bild zu machen. An der südlichsten Grenze Europas kennt man schließlich seine ständig kenternden Pappenheimer vom schwarzen Kontinent. Nur Gänsehaut-Touristen sind sie noch einen Schnappschuss wert. Die maltesischen Behörden hingegen reagierten wie gewohnt auf den Rettungsruf: mit dem Abwälzen der Verantwortung auf Libyen, von deren Küste aus die Kameruner, Ghanaer und Nigerianer gestartet waren. Letztlich erbarmten sich italienische Marinesoldaten ihrer. Wer wie einer der Geretteten glaubte, der Gott des christlichen Abendlandes habe an Pfingsten „ein Wunder vollbracht“, der kennt den mageren Service für Pauschalflüchtlinge auf der Ferieninsel Lampedusa nicht. Denn in Italien wie Malta lautet die Flüchtlingsformel: besser abgeschoben als gut aufgehoben.
Auf Malta hat das Abwehren lästiger Eindringlinge Tradition. 1565 schlugen die christlichen Ritter des Malteserordens die kriegerischen Osmanen in die Flucht und befestigten die Insel zum Schild Europas. Knapp 450 Jahre später sitzen die erzkatholischen Staatsmänner von Malta den verzweifelten Ansturm der Afrikaner friedlich aus. Dem kleinsten und jüngsten EU-Staat ist der Schild mittlerweile zu schwer geworden und so ruft er in der Brüsseler Festungszentrale nach Verstärkung. Sprich, nach verschärften und vermehrten Grenzpatrouillen.
Dort zeigt man sich über die Flüchtlingsdramen zwar öffentlich schockiert. Doch EU-Kommissar Frattini bleibt eisern: Das Land der Erstaufnahme bleibt für Asylbewerber erste Wahl. Vor einem flüchtlingsfreundlichen Verteilerschlüssel ist ihm genauso bange wie unserem Innenminister. So schiebt einer dem anderen den schwarzen Flüchtling zu, bis er ertrinkt, seine Leiche sich in Fischernetzen verfängt oder ans Ufer geschwemmt wird. Für einen Sinneswandel könnten höchstens die europäischen Fischer sorgen. Die beklagen sich schon länger über zu viele tote Flüchtlinge in ihren Netzen. Und auch an Südeuropas Stränden sieht man lieber Schnaps- als Wasserleichen.
Dabei verstärken die Euro-Fischer selbst den Flüchtlingsstrom. Seitdem sie die westafrikanischen Gewässer mit Hightechkuttern leerfischen, verkaufen die um ihre Fanggründe gebrachten Afrikaner ihre maroden Boote an illegale Auswanderer oder schippern gleich selbst ins gelobte EU-Land. Dem geraubten Reichtum hinterher. Genau diese Politik müssen die Flüchtlinge im wahrsten Sinne des Worte ausbaden.
Wenn die EU dieses Problem aussitzt, dann kann ich nur mit dem britischen Independent titeln: „Europa schäm‘ Dich“. Bis du dich gefangen hast.
Die Kolumne erschien am 24. Mai 2007 in der Berliner Zeitung.