Meinungsmache statt Meinungsforschung 

Kolumne Juli 2008

Halten Sie Deutschland für einen guten Nachbarn? Gehört Marmelade für Sie zu einem guten Frühstück? Meinungsforscher fragen mittlerweile nach allem, was sich nur fragen lässt. Sei es auch noch so abwegig und irrelevant. Nur eine, ganz entscheidende Frage haben sie den meinungshungrigen Deutschen bislang noch nicht gestellt: „Vertrauen Sie den Methoden und Ergebnissen der Meinungsforschung?“ Die Antwort könnte nämlich ausnahmsweise einmal die tatsächliche Stimmung im Lande wiederspiegeln. Vermutlich hätten sie auch dafür die passende Erklärung parat. Hundertprozentig! 

Schließlich handelt es sich bei der Demoskopie ja um ein „fehlbares Handwerk“, wie Forsa-Chef Manfred Güllner nach den gründlich verpatzten Wahlprognosen 2005 selten selbstkritisch einräumte. Obgleich er und andere Meinungsexperten nicht müde werden, ihr Handwerk immer wieder als exakte Wissenschaft zu verkaufen, die repräsentative Ergebnisse abliefert. Schließlich machen sie mit „korrekten“ Zahlen auch ihre besten Geschäfte. Doch nicht wenige ihrer Schätzungen tragen oft mehr zur Verwirrung als zur Klärung bei. Anders kann ich mir kaum erklären, wieso Güllners Umfragen der SPD vor kurzem nur 20 Prozent der prognostizierten Wählerstimmen gönnen, das konservative Allensbach-Institut die Sozialdemokraten seltsamerweise aber derzeit bei 28,2 Prozent sah. 

Gehört das noch zur Fehlertoleranz? Oder stecken hinter gewissen Umfragewerten gewisser Institute nicht etwa doch die regelmäßig geleugneten Abhängigkeiten oder Absichten? Ist es nicht merkwürdig, dass ein und dasselbe Meinungsforschungsinstitut (TNS) der niedersächsischen SPD einmal 31 und das andere mal 36 Prozent für die Landtagswahlen versprach. Im ersten Fall waren die Christdemokraten, im zweiten die Sozialdemokraten die Auftraggeber der Umfrage. Bei Forsa hingegen sind die Interessen wohl anders gelagert. Hier werden mit den eindeutigen Prozentzahlen gleich die eindeutigen Erklärungen mitgeliefert. Vom Chef höchstpersönlich.  

Schließlich kann uns keiner plausibler erklären, „weshalb die Sozialdemokraten so tief sanken“ und die Sympathiewerte der Kanzlerin wieder Rekordmarken erreichen als der Zahlenjongleur Prof. Güllner. Und die Zahlen sagen dem trendsicheren Soziologen nun einmal, dass allein Kurt Beck für das Stimmungstief in der SPD verantwortlich ist. Der angeblich der „Mehrheitsmeinung hinterherläuft“ und „keine zukunftsweisenden politischen Strategien“ hat. Dass Güllner Politikern seiner ganz persönlichen Wahl schon öfter dazu geraten hat, auf die Stimme des Volkes zu hören, um im wahltaktisch richtigen Moment zu punkten, verschweigt er. Ebenso wie so manch andere Widersprüche, die seiner eigenen zukunftsweisenden politischen Strategie zuwiderlaufen. Die insgeheim dem Motto folgt: Meinungsmache statt Meinungsforschung. Zugunsten meines Favoriten.

Das nach der letzten Bundestagswahl von Peter Sloterdijk geforderte „Gesetz zur Eindämmung der Meinungsforschung“ würde sicher an der Umfragegläubigkeit der Parteien und Wählern scheitern. Beide wären dennoch besser beraten, sich auf ihre eigene Meinung zu verlassen, als sich von der vermeintlich repräsentativen und einseitig kommentierten blenden zu lassen. Dann ginge der von Sloterdijk als „außerparlamentarische Herrschaftsinstanz“ gescholtenen Meinungsmaschinerie nämlich schnell der Treibstoff aus. Es soll übrigens Zeiten gegeben haben, in denen Politik nicht nach Umfragen gemacht wurde, sondern Politik mit der Hoffnung auf bessere Umfragen.

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