Vor uns die Sintflut

Kolumne Oktober 2008

Die Weltwirtschaft stürzt in eine Superrezession, Weltkonzernen droht die Pleite und rund um den Globus gehen Millionen Jobs verloren. Angesichts solcher Horrormeldungen wird es einem angst und bange. Vor den Folgen der Klimakrise sollten wir uns allerdings tatsächlich fürchten. Dass der Ausstoß von Treibhausgasen nach jüngsten UN-Berichten immer weiter steigt wird vom ökonomischen Krisengewitter übertönt. Denn wirtschaften wir weiter wie bisher, gerät nicht nur unsere materielle, sondern auch physische Existenz ernsthaft in Gefahr. Weder Klima noch Finanzen sind mit kurzfristigen Konjunkturspritzen zu kurieren. Da helfen nur langfristige Kuren. 

Bislang aber lautet das Fazit immer noch: Ökonomie schlägt Ökologie. Sowohl auf der medialen wie auf der politischen Bühne. Die täglichen Kursstürze an der Wall Street beschäftigen die Medien und Menschen weitaus mehr als die Studie eines Teams renommierter Geowissenschaftler, die zeigt, dass das Klima in der Arktis bereits unwiderruflich gekippt sein könnte. Obwohl beide Ereignisse unser aller Existenz aus unterschiedlich Richtungen bedrohen, haben Schreckensnachrichten aus der Wirtschaft derzeit allemal Vorrang. Dieses gefährliche Ungleichgewicht an Aufmerksamkeit wird noch in medialen Talkrunden durch so genannte Wirtschaftsexperten von der Couleur eines Hans-Werner Sinn verschärft. „Fehlgeleitet“ und „irrational“ sei die „Klimapolitik der Bundesrepublik, die absurderweise vor allem auf den Ausbau der Solarenergie setzt“. Sie koste „uns eine Menge Wohlstand und nützt dem Weltklima kein bisschen“, sagte er allen Ernstes in einem Interview mit dem Manager-Magazin und behauptet, seine Thesen basierten alle auf „seriöser Mathematik“, die Berechnungen der UN-Klimaexperten dreist ignorierend.

Aber nicht nur Ökonomen, sondern auch Politiker rechnen lieber zugunsten klimafeindlicher Industriezweige. Anders lässt sich der Kohlendioxid-„Kompromiss“ von Brüssel vor zwei Wochen kaum erklären. Statt die Automobilkonzerne endlich zur Herstellung abgasarmer Fahrzeuge zu zwingen, ertrotzten sich die Dreckschleuderproduzenten eine weitere Schonfrist, wurde die Einhaltung des ohnehin schon bedenklichen CO2-Grenzwerts von 120 Gramm pro Kilometer auf das Jahr 2012 verschoben. Die Natur kann uns keine Schonfrist erlauben. Den schmelzenden Gletschern ist es völlig egal, wenn ganze Landstriche überflutet werden. Auch die wachsenden Wüsten interessiert es nicht, dass immer mehr Menschen zu Hungerflüchtlingen werden. Wenn zivilisatorischer Fortschritt so aussieht, wird wohl eintreten, was der Ethnologe Claude Lévi-Strauss bei den aussterbenden Ureinwohnern Brasiliens beobachtet hat: Die Welt begann ohne Menschen und wird wohl auch so enden.

Wer wie Frau Merkel dieses Wochenende auf dem EU-Gipfel glaubt, die gegenwärtige Krise vorrangig  ökonomisch  lösen zu können, wird Firmenpleiten und die Arbeitslosenquote vielleicht kurzfristig verringern, aber langfristig nicht die Lebensqualität der Menschen sichern. Diese hängt  stärker vom Erhalt der Natur als von der Erhöhung der Gewinne ab. Ökonomie und Ökologie stecken beide in einer tiefen Krise. Nur wenn aus beiden ein vernünftiger Ausweg gefunden wird, haben wir eine Zukunft. Um bei Lévi-Strauss zu bleiben: „Alles ist verloren, doch nichts ist verspielt. Wir können alles von vorn anfangen.“ Wir müssen nur wollen.

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