Es geht ums Ganze

Kolumne Dezember 2008

Es fällt mir schwer, in diesen Tagen über etwas anderes zu schreiben, als über den galoppierenden allgemeinen Irrsinn. Eigentlich bräuchte man ganz neue Worte, Begriffe, um zu beschreiben, was sich gerade abspielt. Denn wäre die viel beschworene Finanzkrise doch tatsächlich nur eine solche. Sie ist es aber nicht. Wäre sie es, könnte man mit dem üblichen öffentlichen Bedauern über die Kollateralschäden auf die nächste Krise warten. Dann bräuchte man sich nicht allzu große Sorgen um das Ganze, um das allgemein verbindliche System zu machen, das unsere Form der Demokratie jedenfalls bis heute nicht in Frage gestellt hat.

In Zeiten allgemeiner Ratlosigkeit sollte eigentlich die Stunde der intellektuellen Eliten  schlagen. Sollte. Denn wer steht da noch als Wertevermittler gegen alles Miese und Fiese bereit? Schließlich hat man sich alles Politische abtrainiert oder abtrainieren lassen. Doch, einige letzte Mohikaner gab es noch als Warner und Mahner, die aus ihren jeweiligen Nischen heraus das allgemeine Desaster gegen den medialen Mainstream vorausgesagt haben. Nur der Zeitpunkt ließ sich nicht genau vorhersagen. Es stand jedoch immer fest, dass der Offenbarungseid geleistet werden muss. Pech für all die ‚billig und gerecht Denkenden‘, wie die Juristen so feinsinnig formulieren, wenn es um die Beschwörung der idealen Vertreter des Gemeinsinns geht.

Die Wortführer in der Krise sind immer noch die alten Kader. Müssten nicht all die ‚Experten‘ wenigstens für eine Weile einmal ihren Mund halten? Das gilt auch für die Privatisierer und Deregulierer von der Neuen Sozialen Marktwirtschaft, die alle weiter auf Sendung sind. Die Bankrotteure, die sich an der entschädigungslosen Enteignung von Spar- und Steuergeldern nach Kräften beteiligt haben, erklären uns nun, warum die weitgehend entmündigten Steuerzahler jetzt gefälligst erst Millionen, dann Milliarden, nun gar Billionen bei Androhung unser aller Untergang via Staat für sie bereit zu halten haben. 

Vertrauen gegen Vertrauen? Wem können wir denn noch vertrauen? Den Boni-Hasardeuren etwa, die von Woche zu Woche ihre Forderungen an den vor kurzem noch verteufelten Staat im Milliardenrhythmus erhöhen? Den Lobbyisten, die weiter an den sie begünstigenden Gesetzeswerken mitstricken? Dem Sachverständigenrat, der wozu eigentlich geraten hat? Oder den Politikern, die sie alle weiter gewähren lassen?

Nein, mein Vertrauen ist erst einmal dahin. Jedenfalls solange weiter faule Kreditpakete geschnürt werden, sich Managergehälter nach kurzfristigen Gewinnen richten, Aktienspekulationen als ungedeckte Leerverkäufe nicht verboten, die Steueroasen als Transferstationen für faules Geld nicht endgültig ausgetrocknet sind. Solange nicht!

Jetzt schlägt die Stunde der Politiker, die wir gewählt haben und die ich stets gegen allzu dumpfe Angriffe des Stammtischs verteidigt habe. Sie verwalten unser Geld und damit auch einen Teil unserer Zukunft. Nicht wenige sind mitschuldig geworden, als sie den neoliberalen Heilslehren kritiklos folgten. Es liegt an uns, jetzt den Primat der Politik zurück zu gewinnen. So eine Chance kommt nicht gleich wieder. Denn fest steht, dass mit noch so geharnischten Moralappellen den Selbstbedienern nicht beizukommen ist.

Zur Erinnerung: Gerade hat eine Kassiererin von Kaiser’s-Tengelmann nach 31 Jahren rechtskräftig ihren Job verloren, weil sie 1,30 Euro Flaschenpfand unterschlagen haben soll. Noch Fragen?

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