Kolumne 15. Mai 2009
Bisher habe ich mich immer für einen Autonomen gehalten. Autonom im Sinne des selbstbestimmten Handelns – mit all seinen Konsequenzen. Und ich bin auch nach diesem 1. Mai in Berlin, nach den Krawallen in Ulm, nach den Rauchwolken über dem Strasbourger Rheinhafen-Viertel anlässlich des NATO-Gipfels nicht bereit, mir meine Autonomie ausreden zu lassen.
Einen Teil meines Berufsdaseins bringe ich gegenwärtig in der Berliner Akademie der Künste zu, die sich ihrerseits für autonom erklärt, was mit meiner Vorstellung von Autonomie durchaus vereinbar ist.
Aber dann gibt es eben jene, die sich „Autonome“ nennen, und es – wie oben angedeutet – immer mal krachen lassen. Sie haben das Autonome in Verruf gebracht, sie haben mir einen Begriff gestohlen, den ich für die Erklärung meines Selbstverständnisses und meiner Lebenslage nicht kampflos aufzugeben bereit bin. Ja, ich bin ein Autonomer. Aber, keine Angst, es geht wenigstens für Polizisten keine Gefahr von mir aus. Meine Autonomie ist die gewaltfreie eines Künstlers und Kunstvermittlers, wobei gewaltfrei nicht unbedingt mit konfliktfrei oder konfliktscheu zu übersetzen ist.
Aber was bedeutet „autonom“ für einen etwa 20- 30jährigen, aus der linksalternativen bis linksradikalen Szene? „Wir wollen soziale Unruhen und wir werden alles tun, um sie zu erreichen“, wurde ein Mitglied vom „Klassenkämpferischen Block“ zitiert. Von der „Tradition des Blutmai 1929“ war sogar in einem abenteuerlichen historischen Vergleich die Rede und von der Notwendigkeit eines sozialen Umsturzes, „um die Probleme zu lösen“. Dies konnte man zuletzt noch am Vorabend des jüngsten 1. Mai lesen, an dem dann weit mehr als 400 Berliner Polizisten als verletzt gemeldet wurden und jeder, der im näheren Umkreis vom Kottbuser Tor in Kreuzberg seinen Laden nicht verbarrikadiert hatte, einen Glaser benötigte. Autonom als synonymer Begriff für den kollektiven Gewaltausbruch – das ist die Horror-Variante.
Zusammengetragen hat diese Zitate die Berliner BZ und ihre große Schwester BILD. Ihre Berichterstatter haben sich mit besonderer Zuwendung einer Pressekonferenz der „Autonomen-Vertreter“ angenommen, einer vor lauter pseudorevolutionärem Vokabular schäumenden Kampfansage, mit der den „Profiteuren des Kapitals“ Angst eingejagt werden sollte. Gut 100 abgebrannte Autos ohne Chance auf Abwrackprämie seit Jahresbeginn waren schon mal ein deutliches Zeichen, dass es Pyromanen unter den gewaltbereiten Aktionisten durchaus Ernst meinen und für BILD/BZ als vorzeigbares Bürgerschreck-Gespenst dienen können. Mitverbreitet wurde die wohl eigentliche Botschaft, dass sich der SPD-Innensenator mit seiner Strategie der „ausgestreckten Hand“ die Finger verbrennen würde, und dass der brave CDU-Fraktionschef Henkel keinen Wahlkampf-Stand ins reale Kampfgebiet stellen könne. Mit „Kriegserklärung“ und „Chaoten erklären der Polizei den Krieg“ waren die Artikel mit unübersehbar ähnlicher Headline aufgemacht. Wurden etwa die Ausschreitungen so sehr herbeigesehnt? Diese Autonomen machten für Springers Zeitungen keine schlechte Figur. Sie halfen dabei, die notwendige Gesellschaftskritik am gegenwärtigen Skandal-Kapitalismus zu kriminalisieren. Sie schürten Angst und Schrecken und redeten dem Bürger ein, es sei besser, zu Hause zu bleiben und das Gewitter abzuwarten. Sollten Gewerkschaften und friedlicher Bürgerprotest gegen eine unsoziale Lastenverteilung in der Krise die Adressaten dieser Botschaft sein?
Wo kann man eigentlich einen Antrag stellen, dass den zweifelhaften Autonomen der Autonomiestatus aberkannt wird?