Kolumne Februar 2011?
„Liebe deine Made“, „Langhans im Himmel“ oder „Der Busch-Trommler“. Dank solch seriöser Artikel aus der Qualitätspresse bin ich über Deutschlands beliebteste Ekel-Sendung bestens informiert. Als Feuilleton-Leser kenne ich den neuesten Dschungel-Klatsch, ohne ihn wirklich wissen zu wollen. Wen wundert’s da noch, dass in einer Welt die Kopf steht sich dieser Tage ausgerechnet die Bild-Zeitung als Sprachrohr der Vernunft anbietet, wenn sie fragt: „Machen sie für Geld wirklich alles?“
Das deutsche Feuilleton hingegen berichtet schadenfroh über madenkauende oder spinnenfressende C- bis E-Promis. Zu ihrem Liebling haben sie den „undogmatischen“ Quotenonkel Langhans erkoren, der das Dschungelcamp kurz vor seinem Australientrip als „Urszene der Kommune“ gepriesen und bei seinem Marsch durch die Institutionen nun die Endstation erreicht hat. Und die deutschen Kulturjournalisten marschieren munter mit. Vom Dschungel verwirrt, ins Boulevard verirrt.
Einmal mehr entpuppt sich das alljährliche Spucken, Stechen und Würgen auf dem fünften Kontinent als Glücksfall für Medien jeglicher Couleur. Wie wir aus dieser Zeitung wissen, besitzt jeder dritte der über sieben Millionen Zuschauer die Hochschulreife, jeder vierte einen akademischen Abschluss. Wer, wenn nicht die Kultur- und Medienbeauftragten der renommiertesten Zeitungen soll diese anspruchsvolle Klientel über die Schauergeschichten denn auch auf dem Laufenden halten? Die klügsten Köpfe sind gefordert, die Sensationsgier der Zuschauerelite wie der Fernsehmassen zu befriedigen. Das naturgegebene Bedürfnis des Publikums nach Niedertracht und Häme möchten auch die besser beleumundeten Pressehäuser stillen. Sei es aus gewinnorientiertem Kalkül oder schlichten Voyeurismus. „Nachschieben, nachschieben“, heißt es aus dem Munde des Sensationsjournalisten in Bölls Erzählung „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“. Bölls Redakteur der ZEITUNG hat bereits in den 70er Jahren das moderne Credo für alle anderen Zeitungen ausgegeben.
Die mediale Aufwertung der Ekel-Show zum Edel-Trash zeugt weder von guten noch von schlechtem Geschmack, sondern von einer grassierenden Verwahrlosung. Wer erregt sich noch großartig, wenn Jugendliche zum Baseballschläger oder Messer greifen, Schlägereien mit wehrlosen Passanten provozieren und die per Handykamera mitgefilmten Schocker zur allgemeinen Unterhaltung im World Wide Web anbieten. Rohe Gewalt, blutige Action und psychische Erniedrigung bringen weder Publikum und Presse aus der Fassung, sondern bilden inzwischen eine allgemein akzeptierte Realität ab.
Was vermag den TV-Junkie eigentlich bei dieser Gemengelage noch auf der Fernsehcouch zu halten? Vielleicht „Das Millionenspiel“, in dem Auftragskiller einen Kandidaten jagen und die Zuschauer entscheiden können, ob sie den Gehetzten lieber tot oder lebendig sehen möchten. Vor vierzig Jahren noch die „Spielidee“ einer bissigen TV-Satire, morgen schon das Realityformat einer quotensicheren Unterhaltungsshow für die ganze Familie. Zur Freude des Gütersloher Mohn-Imperiums. Für die öffentliche Hinrichtung eines Menschen gibt es im Iran längst ein Massenpublikum. Auch hierzulande würde sich dafür ein Publikum finden. Und alle säßen wieder vor der Glotze und hinter Zeitungen, die mit höchster Intelligenz die niedrigsten Instinkte ihrer Leser analysieren und damit den täglichen Ekel kultivieren.